Lullahush: Irish Trad Rewired

Lullahush, das für den Ivor Novello Rising Star nominierte Projekt von Daniel McIntyre, nimmt in der aufstrebenden, dynamischen Musikszene Irlands einen besonderen Platz ein. Das von McIntyre konzipierte Projekt hatte sein Debüt 2022 mit A City Made of Water and Small Love, einem dekonstruierten Techno-Album, das als Erstlingswerk durchaus Eindruck hinterließ. Es sollte jedoch noch zwei weitere Jahre dauern, bis McIntyre begann, mit traditioneller irischer Musik zu experimentieren. Auf der drei Titel umfassenden EP „ An Todhchaí “ verschmolz er irische Folk-Tradition mit provokanter zeitgenössischer Electronica und schuf damit eine einnehmende Vision davon, wie irische Musik modernisiert werden kann, ohne ihren eigenen Wert einzubüßen.
Nachdem er Lullahush während seines Umzugs nach Athen kurzzeitig auf Eis gelegt hatte, führte McIntyres Weg ihn bald wieder zurück zu seinen irischen Wurzeln – seine Heimat inspirierte ihn dazu, Ideen wieder aufzugreifen, die er bereits auf An Todhchaí ausprobiert hatte. Und zwar mit einem frischeren Fokus auf etwas, das er als „Humanisierung des Glitchs“ beschreibt — inklusive einer gebührenden Hommage an Dublins Geographie und Kultur. Das dabei entstandene Ithaca ist eine üppig proportionierte Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart, Organischem und Synthetischem. In unserem Exklusivinterview erzählt McIntyre, wie er fragmentierte Samples und digital bearbeitete Narrative in eine Klanglandschaft verwandelt hat, die zugleich nostalgisch und zukunftsorientiert ist. Außerdem stellt er ein kostenloses Sample-Pack mit Sounds zur Verfügung, die er für sein neuestes Album verwendet und produziert hat.
Ich vermute ja, du warst als Dubliner in deiner Jugend in den Pubs und Bars der Stadt von traditioneller irischer Volksmusik umgeben, stimmt's?
Eigentlich überhaupt nicht, ich hatte kaum Berührung mit den Traditionen. In Irland werden die Leute praktisch mit der Geburt auf die Warteliste für eine Flöte gesetzt und man erwartet, dass sie sie spielen können, sobald sie groß genug sind. Ich selbst habe allerdings als Teenager in Bands gespielt. Ich bin zur elektronischen Musik gekommen, nachdem ich Künstler wie Romare gehört habe und sah, was sie mit ihren jeweiligen Folk-Traditionen gemacht haben. Etwa zu dieser Zeit hatte ich die Idee, dass man mit traditioneller irischer Musik genauso umgehen könnte und ich habe angefangen, mich ein wenig damit zu beschäftigen.
Abgesehen vom letzten Track Dublin nimmt dein Debütalbum A City Made of Water and Small Love keinen offensichtlichen Bezug auf die irische Tradition. Wann wurde dein Interesse geweckt, diesen Teil deiner Identität zu erforschen?
Die Art, wie ich Musik höre und mache, ist typisch irisch, daher ergibt der Sound, den ich auf A City gemacht habe insofern Sinn, als dass ich traditionelles, von der Landschaft inspiriertes Material auf eine Weise zusammengemischt habe, die eine echte Ausdrucksform darstellt. Dublin selbst hat eine wunderschöne Küste, sodass man immer Vögel und Wellen hört. Meine Familie kommt aus Donegal im Nordwesten, das direkt an der Küste liegt. Als ich mein erstes Album gemacht habe und dabei war, meinen eigenen Sound zu finden, war ich viel mit Freunden auf Reisen, habe verschiedene Teile des Landes besucht und die Ruhe all dieser wunderschönen Orte erlebt. Es ist eine raue Art von Schönheit – eine kraftvolle Schwere, weil das Wetter in Irland manchmal ziemlich extrem sein kann.
Du lebst und arbeitest derzeit in Athen, Griechenland. Hat deine Abwesenheit aus Irland den Wunsch ausgelöst, Musik zu machen, die eine Verbindung zu Irland hat?
Es ist eine Art Klischee, dass man irischer wird, wenn man wegzieht. Vielleicht habe ich es als einfacher empfunden, das Material und die Dinge, die ich erkunden wollte, aus der Distanz zu betrachten und mich anschließend dadurch auszudrücken. Aber auch beim Produzieren von A City… habe ich angefangen, Ideen zu sammeln. Ich habe damals im Grunde an vier verschiedenen Projekten gearbeitet und von jedem ein paar Songs an Nathan McLay vom Label Future Classic geschickt. Er war es, der ein paar Sachen im traditionellen Bereich am interessantesten fand. Nachdem er mich dazu ermutigt hatte, habe ich ein paar meiner Ideen genommen und überlegt, was ich sonst noch in die Richtung probieren könnte. Mein Ziel war es, nichts unversucht zu lassen, um den Kontext neu interpretieren.
Dein Debüt, die An Todhchai EP, klingt wie ein Experiment, das erst auf deiner neuesten LP, Ithaca vollständig zu Ende gebracht wurde.
Bei An Todhchaiging es darum, die besagten Ideen einfließen zu lassen und einfach zu sehen, was passiert. Die Art und Weise, wie ich die Samples verwendet habe, war ziemlich provokativ. Mit Ithaca wurden die Songs mehr zu meinem persönlichen Ausdruck; oder sagen wir: einer Artikulation dessen, was in meinem Leben los war — zusammen mit Soundideen, bei denen es nicht nur um Instrumentierung und Melodien ging, sondern darum, die ganze Bandbreite meiner Geschichte auf eine einzigartige Weise auszudrücken. Ich habe auf Tracks wie Dónal na Gealaí damit angefangen, Samples aus meiner eigenen, ganz privaten Gedankenwelt zu verwenden, bis es anfing, super weird zu werden. Ich habe mir Akkordeonspieler wie Noel Hill angehört, um zu erfahren, was sie über ihre Herangehensweise an die Musik und den Raum zwischen den Noten sagen. Oder ich habe Tony McMahons gesampelt, wie er über die Zukunft der irischen Musik spricht. Außerdem habe ich nach kleinen Audio-Leckerbissen gesucht und Snippets von Molly Blooms Monolog aus dem Roman Ulysses von 1922 eingebaut. Und ich bin auf eine Zeile von The Voice Squad über eine griechische Königin gestoßen und dachte: „Okay, die muss da rein!“! Alle diese Ideen waren in meinem Kopf gespeichert. Und das Schöne an Ableton ist, dass ich sie abrufen und dokumentieren konnte.
Du meintest, dass dein Ziel darin bestand, Musik zu machen, die verspielt, aber ernst ist. Das spielerische Element ist recht offensichtlich, aber um welches ernste Element ging es dir?
Ich würde sagen, der Ernst liegt darin, dass ich meiner Tradition auf eine Weise begegnen wollte, die ihr dient, statt einfach ein paar Beats zu machen und dann zu sagen: „Oh, da packe ich noch irgendwas Traditionelles darüber, damit es cool klingt.“ Sondern eher Dinge zusammenzubringen, die sich nicht gegenseitig überlagern und zwar auf eine Weise, die sie aufwertet. Der Künstler Meitei ist ein wirklich gutes Beispiel. Seine Musik ist super verspielt, aber die Liebe zum Detail bei seinen Produktionen und im gesamten Umgang mit allem bedeutet, dass sie es verdient, ernst genommen zu werden. Ich finde, dass im Moment wirklich spannende Dinge passieren im Hinblick darauf, was die Leute mit traditioneller Musik machen. Aber vieles ist äußerst ernst und ehrfürchtig, also muss meine dem standhalten können, wenn ich sowas in einem elektronischen Kontext tue. Irland ist eine relativ junge Nation und vielleicht hat es etwas gedauert, bis unsere Musik international Anerkennung gefunden hat oder wir Vertrauen in unser eigenes Irischsein hatten. Oftmals waren irische Bands nur eine Imitation von irgendwas, was in Großbritannien oder Amerika passierte. Aber jetzt beginnen wir, unsere Kultur anzunehmen und selbstbewusster mit unserem Akzent zu sprechen.
Dich scheint die Analyse und das Auseinandernehmen von Sounds auf jeden Fall ziemlich zu faszinieren. Wie analytisch ist dein Ansatz und wie sehr spielst du einfach nur mit Sounds, um ein interessantes Ergebnis zu erzielen?
Ich würde mich nicht als besonders technisch begabt bezeichnen. Ich habe einfach das große Glück, mit einem Freund zusammenzuarbeiten, den ich über die Red Bull Academy kennengelernt habe und der in all diesen Dingen unglaublich gut ist. Er mischt und mastert alles für mich und behandelt das, was ich mache, mit großem Respekt. Ich würde wahrscheinlich verrückt werden, wenn ich versuchen würde, das alles selbst zu machen, weil das nicht zu meinen Fähigkeiten gehört. Aber Dank dieses Prozesses kann ich Sachen machen, die interessant klingen und dabei alles falsch machen und mich trotzdem darauf verlassen, dass wir es am Ende wieder in Ordnung bringen können. Obwohl ich oft Sachen auf den Master knalle, verbringe ich gerne Stunden damit, an einem 10-Sekunden-Loop zu basteln und seinen Sound zu modulieren, bis er perfekt ist. Ich mische bei diesem Ansatz sozusagen nebenbei, sodass sich beim finalen Mix nichts Wesentliches ändert.
Die meisten Songs enthalten mehrere gesungene oder gesprochene Worte. Wurde die Musik um diese Vocal-Samples herumgebaut oder hast du eher sie in die Produktion integriert?
Wenn ich an Sachen arbeite, lege ich überhaupt keinen Wert auf die Sound-Qualität. Ich kann also alles von überall nehmen. Das finde ich wirklich befreiend. Mir standen sämtliche öffentlich verfügbaren Aufnahmen der Geschichte zur Verfügung. Manchmal habe ich dann Sachen um Vocal-Samples herum konstruiert und manchmal habe ich an einem Track gearbeitet und gemerkt, dass an bestimmten Stellen ein besonderes Sample oder poetisches Fragment gut passen würde. Bei solchen Projekten halte ich es für sehr wichtig, über das akademische Produktionsniveau hinweg eine Verbindung zur menschlichen Stimme herzustellen. Es geht eher darum, Samples genau dann in den Raum einzufügen, wenn sie gebraucht werden, oder sie ganz tief zu vergraben, sodass man das Sample eher spürt als hört.
Ein Titel, den ich ziemlich faszinierend fand, ist Raglan Road , wo dein 97-jähriger Großonkel, glaube ich, ein Gedicht von Patrick Cavanagh rezitiert. Wie kam es zu dem Gespräch mit ihm und zur Entwicklung des Tracks?
Ich habe ehrlicherweise meinen Vater irgendwann darum gebeten, dass er versucht, meinen Onkel Jack aufzunehmen. Und ich weiß sehr zu schätzen, dass er mir eines Tages eine WhatsApp-Sprachnachricht geschickt hat, in der er spontan singt. Es klang fantastisch. Gleichzeitig wollte ich das Material aber mit gebührendem Respekt behandeln und es nicht nur spaßeshalber in einen Track einbauen. Man kann sagen, ich habe eine Weile gebraucht, um mich dem Stück zu nähern und ein Arrangement zu finden, das es komplettiert. Aber als ich es Jack geschickt habe, war er ziemlich krank und konnte nicht wirklich etwas dazu sagen. Aber ich habe es seiner Familie geschickt und es hat ihnen richtig gut gefallen.
Gibt's eine rote Linie, die man nicht überschreiten darf, wenn man einem Track Bedeutung verleihen will, weil man ihn sonst entpersonalisiert?
Ich würde sagen, das entwickelt sich. Mich interessiert die Menschlichkeit in elektronischer Musik und wie man in den Dingen das Zerbrechliche und Verletzliche hervorheben kann. Obwohl schon viele Arten des Ausdrucks ausgeschöpft wurden, gibt es in der Produktion immer noch viel Potenzial, um auf herausfordernde, belohnende und relevante Weise zu sagen, was wir sagen wollen. Samples können als Instrument oder auch als Stimme verwendet werden. Aber man sollte sich wirklich Gedanken machen, welche Software man nutzt und welche Möglichkeiten sie für menschlichen Ausdruck bietet. Die Sängerinnen und Sänger, die ich am liebsten mag, sind nicht unbedingt die besten Vocalisten. Es ist wichtiger, wie es sich anfühlt und ich glaube, das verlieren die Leute beim Produzieren manchmal etwas aus dem Blick. Es gibt eine Welt, in der sich alles um möglichst hochwertigen Klang dreht, aber ich bin mehr am Sound zerbrechender und auseinanderfallender Dinge interessiert. Denn das ist ein sicherer Weg in die Seele von dem, was man tut.
Und wie dekonstruierst du Sounds technisch, um zu diesen Emotionen vorzudringen und sie zu erzeugen?
Alles, was ich in Ableton mache, ist das Ergebnis von Bearbeitung, Umordnung und einer granularen Auseinandersetzung mit meinem Material. Es ist einfach mein Instrument und alle meine Prozesse basieren darauf. Mit Ithaca wollte ich zeigen, was man aus Audiostücken machen kann. Das Drum-Rack oder die Sampler von Ableton habe ich nicht wirklich benutzt. Ich habe nur die Audiowellenformen auf dem Screen geformt, Sachen auseinandergenommen und Chaos geschaffen. Man nimmt einen Sound, harmonisiert ihn neu, senkt den Pitch, bearbeitet ihn ein wenig, macht etwas Finetuning und fertig sind deine Texturen. Doch alles entsteht aus dem Kern dieses einen Audiostücks, bis es zusammen einen Sinn ergibt. So ergänzt das elektronische Zeug das traditionelle, weil es zeigt, was aus ihr entstehen kann.

Screenshot von Kitty na Gaoithe (3:25): „Das ist Kitty Gallaghers klagende Melodie, die in MIDI konvertiert, an die Bass Station gesendet und auf das kostenlose Dulcimer-Plugin von Labs geladen wurde. Dulcimer wird größtenteils mit Soundtoys-Plugins bearbeitet und die meisten dieser Echoboys fungieren als Chorus. Unten hervorgehoben sieht man, dass die Dulcimer-Spur abgeflacht ist, wobei der anfängliche Transient jeder Note umgekehrt und mit einem zusätzlichen Stutter-Delay versehen ist.“

„Die Drums im Breakdown bestehen größtenteils aus Bodhrán-Samples und sind so angelegt, dass sie sich um die klagende Melodie schmiegen.“

„Das ist der Riser, der vom Drop zum Outro führt. Er besteht aus den ersten Zeilen von Planxtys ‚The West Coast of Claire‘ (Kummer und Traurigkeit …), die auf die richtige Tonart runtergepticht, reingefadet und dann rausgewaschen werden.“
Würde es dich reizen, nach Irland zurückzukommen und deine Tracks in einem eher traditionellen Rahmen zu spielen, um zu testen, wie dein Hybrid aus Alt und Neu aufgenommen wird?
Ich habe letzten Sommer eine große Aufnahme-Sitzung gemacht und mit einigen wirklich guten Musikern gearbeitet. Daher glaube ich, dass das der nächste Schritt bei der Live-Entwicklung meines Materials sein könnte. Ursprünglich wollte ich eigentlich nur lauter Samples ergattern und ein bisschen spielen, aber mittlerweile will ich viel mehr wissen, wie die Dinge von Grund auf funktionieren können. Ich habe mit einem Konzertinaspieler zusammengearbeitet, dessen Familie in Dublin ein traditionelles Pub namens „The Cobblestone“ besitzt. Ich glaube, wir werden irgendwann dort eine Version des Albums austesten und sehen, wie es ankommt. Wenn man ein Album fertig macht, ist das in gewisser Weise wie ein Friedhof – die Musik ist für immer in Stein gemeißelt und es war schon immer schwierig, elektronische Musik live so zu spielen, dass sie nicht nur eine Neuinterpretation eines Stücks ist. Deshalb versuchen wir, Wege zu finden, sie lebendig und in Bewegung zu halten. Ableton wird dabei eine große Rolle spielen. Ich will einen zehn Jahre alten APC-Controller benutzen und von der Arrangement-Ansicht von Ableton zur Clip-Ansicht wechseln, damit ich sehen kann, wie viele der Prozesse live implementiert werden können.
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Text und Interview: Danny Turner
Fotos mit freundlicher Genehmigung der Band