Es gibt niemanden, der sich im zurückliegenden Jahrzehnt verdienter um die Wiederauferstehung der Modular-Synthese gemacht hat, als Dieter Doepfer.
Mit der Einführung des Eurorack-Standards für sein eigenes A-100 Modular-System im Jahr 1995, ebnete Doepfer gleichzeitig den Weg für etliche andere Hersteller. In der Folge stieg die Zahl zueinander kompatibler Module spürbar an. 20 Jahre später: Die modulare Synthese befindet sich auf einem Allzeit-Hoch. Was einst als Kleinstindustrie für eine Nieschen-Klientel begann, ist heute ein etablierter Wirtschaftszweig mit beeindruckenden Wachstumszahlen. Immer mehr namhafte Synthesizer-Firmen steigen in das Eurorack-Game ein. Und der Sound der Modular-Synthese hat längst Einzug in den Mainstream gehalten.
Für dieses letzte Feature rund um die Veröffentlichung von OSCiLLOT legt Dieter Doepfer seine persönliche Sichtweise zum rasanten Aufstieg des Modular-Sektors dar und erinnert sich an die eigenen Anfänge; in einer Zeit, als der Lötkolben und geheime Schaltkreisdiagramme den Tagesablauf bestimmten.
Sie haben mit dem Eurorack-System einen entscheidenden Beitrag zur Wiedergeburt und aktuelle Popularität von der Modular-Synthese gemacht. Sie haben aber nicht als Musiker begonnen, sondern haben Physik studiert. Wie kamen Sie zur Musik? Oder hat Ihre Karriere als Musik-Technologie-Erfinder andere Wurzeln?
Die Story geht in die Zeit meines Physik-Studiums zurück, als ich damit begonnen habe für unsere damalige Band Equipment zu reparieren und Gitarren-Effekte zu bauen (Verzerrer, Wahwah, Phaser, Flanger etc.). Damals war die Gitarre noch mein Hauptinstrument und ich habe neben den damals bekannten Effekten viel mit unterschiedlichen Filterschaltungen experimentiert, um ähnliche Klänge wie die dieses sagenumwobenen Moog-Synthesizer aus den fernen USA der Gitarre zu entlocken.
Man darf nicht vergessen, dass es damals kein Internet gab und die Art der Informationsbeschaffung völlig unterschiedlich zu heute war. Man konnte nur hoffen, auf heute sehr abenteuerlich anmutenden Wegen, Fotokopien von Zeitschriften, Prospekten, Bedienungsanleitungen oder Schaltbildern zu bekommen. Eine wichtige Informationsquelle war z.B. die Fernausleihe von ausländischen Zeitschriften oder Büchern in Bibliotheken an der Uni. Man musste das gewünschte Dokument beantragen und wenn man Glück hatte war es ein paar Wochen später für ein paar Tage verfügbar.
Da die Versuche Synthi-Klänge mit Hilfe der Gitarre und Filtern/Phasern/Verzerrern etc., herzustellen nur von mäßigem Erfolg gekrönt waren, musste ich also tiefer in die Materie einsteigen. Ein glücklicher Umstand war dabei, dass die Zeitschrift Elektor Mitte der siebziger Jahren die Schaltung eines modularen Synthesizers (FORMANT) veröffentlichte. In jeder Ausgabe der Zeitschrift wurde jeweils ein Modul beschrieben (Keyboard, VCO, VCF, VCA, ADSR, LFO usw.), so dass man nach knapp einem Jahr einen kompletten Synthi zusammen hatte. Da war es natürlich Pflicht, dieses Teil zu bauen und man hat erstmals eine technische Vorstellung davon bekommen, wie so ein Synthesizer überhaupt im Detail aufgebaut war und wie die Grundschaltungen funktionierten. Von daher war der FORMANT sicher ein Meilenstein für alle Synthesizer-Freaks.
Nachdem der Formant fertig war, gab es aber gleich die ersten Wünsche nach Verbesserungen und Erweiterungen. Ich habe dann ein paar eigene Formant-kompatible Module entwickelt und auch angeboten (z.B. Frequency Divider/Suboktav-Generator, VC-Phaser, String-Phaser, Envelope Follower, VCLFO, VU-Meter, System-Timer, spannungsgesteuerte Schalter, Joystick und einige mehr). Außerdem fehlte dem Formant ein 24dB-Filter. Inzwischen waren aber auch andere Elektronik-Zeitschriften auf diesen Trend aufmerksam geworden. So veröffentlichte beispielsweise die FUNKSCHAU die Schaltung des 24dB-Moog-Filters, ohne diesen aber so zu bezeichnen.
Man musste also schon etwas Hintergrundwissen haben, um zu erkennen, dass die veröffentlichte Schaltung nichts anderes als der Moog-Filter war. Etwas später folgte in der Funkschau die Schaltung des Moog-ADSR. Auch kamen die ersten kleinen Bücher auf den Markt (z.B. Tünker: E-Pianos und Synthesizer). Ein besonderer Glücksfall war, dass ich zusammen mit einem Freund die Gelegenheit bekam, ein Moog-Modulsystem zu restaurieren (das System auf dem damals “Pop-Corn” eingespielt wurde). Hierzu wurde auch das Service-Manual von Moog angefordert und hierdurch habe ich sehr viel dazu gelernt.
Wie haben Sie, als jemand der sowohl den (buchstäblichen) Rahmen erstmals abgesteckt hat, der viele Basismodule entwickelt hat, und auch stätig neue bzw. überarbeitete Module herausbringt, die Entwicklung der letzten ca. 10 Jahre auf dem Modular-Hardware Sektor beobachtet? Ist das Aufkommen vieler kleiner Modul-Hersteller prinzipiell gesund für die gesamte Entwicklung? Oder nähern wir uns eine ähnliche Situation, wie bei den Gitarren-Effekten mit 1000 Verzerrer-Variationen, die sich primär durch den Ton ihrer Vermarktung unterscheiden?
Das ist schwer zu beantworten und ich würde selbst gerne wissen, wie es hier weitergeht. Ich war gerade auf der NAMM und in einem Betrag war bereits von der Eurorack-Explosion die Rede. Inzwischen bringt fast jede Firma, die mit Synthesizern zu tun hat, auch Eurorack-Module auf den Markt (Stichworte: Waldorf, Jomox, Oberheim, Dave Smith, Radikal Technologies, Studio Electronics usw.). Bis vor ein paar Jahren war die Lage noch einigermaßen überschaubar und man kannte sich untereinander. Inzwischen gibt es aber an die 100 Firmen mit 1000 Modulen und nicht nur ich habe den Überblick verloren, sondern auch die Händler, die über der Fülle der Module stöhnen. Bisher war die Entwicklung sehr gut für uns, da die anderen Firmen vorwiegend ausgefallene Module anbieten, bei denen in der Regel auch Standard-Module von uns benötigt werden. Wie das weitergeht, werden wir sehen. In der Tat erinnert das Ganze etwas an die Überhitzung der Börsen vor ein paar Jahren.