Music for the Sea: Coco Francavillas Reise zurück in den Ozean

Musik ist ein menschliches Unterfangen, das keinerlei Rechtfertigung bedarf. Sie muss kein Problem lösen, kein Leben retten oder die Zivilisation in irgendeiner messbaren Weise voranbringen. Und dennoch hat sie im Laufe der Geschichte all diese Dinge getan. Musik hat Revolutionen befeuert, zum Sturz unterdrückerischer Systeme beigetragen und Bewegungen eine Stimme gegeben, die sonst möglicherweise ungehört geblieben wären. Doch auch das Gegenteil war der Fall: Die Macht der Musik wurde manchmal dazu missbraucht, zu spalten, in die Irre zu führen oder den Status quo aufrechtzuerhalten. Doch in den Händen derer, die für Gerechtigkeit kämpfen, kann sie zu einem Katalysator für Einheit, Hoffnung und Fortschritt werden.
„Musik war schon immer ein Motor des kulturellen Wandels“, sagt Komponistin, Producerin und Toningenieurin Coco Francavilla. „Man schaue sich nur die verschiedenen Anliegen und Bewegungen der letzten Jahrzehnte an – Bürgerrechte, Hungersnöte, Antikriegsproteste, Punk, Rave-Kultur. Musik stand immer an vorderster Front der sozialen Gerechtigkeit. Warum also sollte man sie nicht auch jetzt nutzen, um die Klimakrise zu bekämpfen?“
Anlässlich des Welttags der Ozeane 2025 haben wir mit Francavilla über ihr wachsendes Engagement gesprochen, Musik, Wissenschaft und Storytelling im Dienste des Meeresschutzes zusammenzubringen. Sie spricht über ihr neuestes Projekt, MusicForTheSea, eine gemeinnützige Organisation, die sich der Sensibilisierung für gefährdete Meeresökosysteme durch Sound widmet. Als Ergänzung zu diesem Artikel teilt Francavilla auch eine Sample-Kollektion von MusicForTheSeas Plattform SonicOcean, die in Kürze erscheint und die Musiker, Künstler und Meereswissenschaftler zusammenbringt, um die Stimme des Meeres zu erforschen.
Zu Francavillas Werdegang gehören eine klassische Gitarrenausbildung am Konservatorium Santa Cecilia in Rom, ein Abschluss in Architektur mit Schwerpunkt Akustikphysik sowie Beiträge zu bedeutenden Filmmusiken, darunter Blade Runner 2049, Die Tribute von Panem und The Beguiled. Ihr erster Durchbruch gelang ihr, nachdem sie den Trip-Hop-Pionier Tricky kennengelernt hatte. „Ich habe es geschafft, seinem Schlagzeuger Backstage ein Demo von mir zu geben“, erzählt sie. „Am nächsten Tag rief mich Tricky an und fragte: ‚Wer singt da?‘“ Ich hab ihm gesagt, dass ich das war. Zwei Monate später war ich in LA, nahm in großen Studios auf und tourte mit ihm um die Welt.“
Trotz dieses anfänglichen Erfolgs erkannte Francavilla aber bald, dass das Rampenlicht nicht ihre wahre Berufung war. „Ich wollte nicht ständig auf Tour sein“, sinniert sie. Stattdessen konzentrierte sie sich auf Musikproduktion, Tontechnik und Komposition für Film und Medien. Dabei entdeckte sie die Macht der Musik fürs Storytelling. „Mir wurde klar, welches Potenzial in der Musik steckt, wenn sie über die Veröffentlichung von Platten hinausgeht und mit anderen Medienarten kombiniert wird“, bemerkt sie.
Eine weitere Veränderung trat mit Francavillas Umzug nach Ibiza ein. „Die Schnittstelle zwischen Musik, Wissenschaft und Natur hat mich schon immer fasziniert“, erklärt sie. „Als ich das Unterwasser-Seegras Posidonia oceanica entdeckt habe, hat das alles verändert.“ In diesem Moment begann Francavillas Idee „ReOceaning“, Gestalt anzunehmen – als Aufruf, unsere Verbindung mit dem Meer wiederherzustellen, nicht als etwas Fernes oder von uns Getrenntes, sondern als integraler Bestandteil unserer Persönlichkeit.
Posidonia Oceanica und die Geburt von MusicForTheSea
Posidonia oceanica ist eine Seegrasart, die im Mittelmeer heimisch ist. „Wenn man darin schwimmt, nimmt man eine sehr langsame Bewegung wahr, analog zu dem Sound, den wir im Mutterleib hören. „Sehr ursprünglich, sehr althergebracht“, meint Francavilla.

Schwimmen im Posidonia-Seegras. Foto von Lorenzo Melissari.
Die Posidonia oceanica-Felder zwischen Ibiza und Formentera gehören zu den ältesten lebenden Organismen der Erde. Allerdings sind sie durch Tourismus, Klimawandel und Umweltverschmutzung bedroht. „Sie gelten als die Lunge des Mittelmeers“, sagt Francavilla. „Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Felder pro Quadratmeter 15-mal mehr CO₂ absorbieren als der Amazonas-Regenwald. Sie fungieren als Brutstätte für das Meeresleben und bieten unzähligen Arten Schutz. Sie sind ein lebenswichtiges Ökosystem für die Artenvielfalt, schützen unsere Küste vor Erosion und sind auch für das wunderschöne, kristallklare Wasser auf Ibiza verantwortlich – deshalb kommen all diese Menschen hierher.“
„Ich glaube, dass Wissenschaftler Licht auf die Funktionsweise unserer Welt werfen, aber es sind die Künstler und Musiker, die die Geschichten erzählen. Sie verwandeln diese Konzepte in Dinge, die Menschen emotional berühren.“
Bewegt von der Schönheit dieses Meeresökosystems lud Francavilla einige Künstlerkolleginnen und -kollegen ein, damit sie Posidonia aus erster Hand erleben und um ein Kompilation-Album zu produzieren, das dazu beitragen sollte, das Bewusstsein für die Naturschutzprobleme der Region zu schärfen.
„Ich habe Freunde von mir wie Rafael Anton Irisarri, Grand River und Sofie Birch gefragt“, sagt sie. „Was als einfaches Albumprojekt begann, entwickelte sich schnell zu etwas viel Größerem. Wir haben erkannt, dass wir durch die Kraft der Musik die Möglichkeit haben, ein Leuchtturm für den Meeresschutz zu werden – angetrieben von der Überzeugung, dass lokale Maßnahmen globale Veränderungen auslösen können. Und so wurde MusicForTheSea geboren.“
Francavilla beschreibt MusicForTheSea als Organisation, die eine Brücke zwischen den Welten des künstlerischen Ausdrucks und der Umweltwissenschaften schlägt. „Da besteht eine starke Verbindung“, erklärt sie. „Ich glaube, dass Wissenschaftler Licht auf die Funktionsweise unserer Welt werfen, aber es sind die Künstler und Musiker, die die Geschichten erzählen. Sie verwandeln diese Konzepte in Dinge, die Menschen emotional berühren.“

Gesunde Posidonia oceanica-Seegraswiesen vor der Küste Ibizas. Foto von Lorenzo Melissari.
Das Posidonia Soundscape-Projekt
Im Zentrum der Initiativen von MusicForTheSea steht das Posidonia Soundscape Project, ein transdisziplinäres Unterfangen, das Künstler für Aufenthalte nach Ibiza bringt, wo sie mit Meeresforschern zusammenarbeiten. „Sie nehmen an Ozean-Expeditionen und Übungen für Feldaufnahmen teil“, verrät Francavilla. „Aber der Schlüssel liegt in der Zusammenarbeit – die Künstler arbeiten direkt mit Wissenschaftlern zusammen. Das Ziel besteht darin, Unterwasseraufnahmen nicht nur als Inspiration für Musik und die Wiederverbindung mit dem Ozean zu nutzen, sondern auch für die wissenschaftliche Forschung, um die Auswirkungen von übermäßigem Tourismus und Klimawandel auf die Meeresumwelt zu bewerten.“

Einsatz eines Hydrophones an Bord des Posidonia-Überwachungsboots der balearischen Regierung im geschützten Meerespark Formentera – mit MusicForTheSea, Ocean World of Sound sowie der Universität Cádiz. Foto von Coco Francavilla.
Francavilla hat im Rahmen der Künstler-Residenzen von MusicForTheSea bereits eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen beherbergt, von denen jede und jeder eine einzigartige Perspektive in das Projekt einbringt. „Letzten Herbst hatten wir die Ehre, Suzanne Ciani bei uns begrüßen zu dürfen“, erinnert sie sich. „Sie war fasziniert davon, wie räumlicher Klang die natürliche Resonanz des Meeres ausdehnen konnte. Rafael Anton Irisarri fand Inspiration im Himmel, während er den Wellen von oben lauschte. Grand River war vom taktilen Erlebnis bei der Berührung des Salzes mit dem Posidonia-Seegras fasziniert. Jede Künstlerin und jeder Künstler verbindet sich auf seine oder ihre eigene Weise mit der Natur und das macht das Ganze so besonders.“

Suzanne Ciani verwendet ein Hydrophon, um Unterwasser-Feldaufnahmen zu machen. Foto von Lorenzo Melissari.
Mit bevorstehenden Residenzen von KMRU, Caterina Barbieri und Lyra Pramuk wächst das Projekt weiter. „Lyra Pramuk interessiert sich besonders für Sonifikation – die Übersetzung von Umweltdaten in Musik“, sagt Francavilla. „Hier gibt es nicht einfach einen richtigen Weg. Alle finden ihre eigene Art, sich mit der Meeresumwelt auseinanderzusetzen. Ich würde gern eine Gemeinschaft von Kunstschaffenden aufbauen, die zu „Blue Ambassadors“ auf Lebenszeit werden. Das Posidonia Soundscapes Project ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Der Höhepunkt wird die Veröffentlichung eines kompletten Albums im Jahr 2026 sein, auf dem Künstler wie Lyra Pramuk, Telefon Tel Aviv und Loscil zu hören sein werden.“

„Rafael Anton Irisarri fand Inspiration im Himmel, während er den Wellen von oben lauschte.“ Foto von Lorenzo Melissari.

Komponist und Sounddesigner Grand River fängt ozeanische Wellenformen ein. Foto von Lorenzo Melissari.
Stärkung des Vorhabens durch wissenschaftliche und kulturelle Partnerschaften
Auch wenn MusicForTheSea mittlerweile mit mehreren wissenschaftlichen Einrichtungen wie dem Institut für Meeresforschung der Universität Cádiz zusammenarbeitet, waren derartige Connections nicht immer Teil des Projekts – sie mussten erst aufgebaut werden. „Als ich angefangen habe, hatte ich gar keine Verbindungen zur wissenschaftlichen Community“, verrät Francavilla. „Durch solche Partnerschaften können wir Künstlerinnen und Künstler in echten wissenschaftlichen Studien unterbringen. Wir haben jetzt Zugang zum größten emissionsfreien Segelboot des Mittelmeers, Galaxie, das von Wissenschaftlern gesteuert wird, die Daten für Klimaschutzmaßnahmen sammeln. Dadurch haben wir die Möglichkeit, Unterwasser-Feldaufnahmen zu machen, Hydrophone zu nutzen und anthropogene Klangverschmutzung zu untersuchen. Wir planen außerdem eine Expedition mit dem Team von Ocean Decade, um Artists in wissenschaftlichen Methoden zur Aufzeichnung von Unterwassergeräuschen zu schulen.“

Galaxie, emissionsfreies Segelboot. Foto von Love The Mediterranean.
MusicForTheSea vergrößert seine Reichweite außerdem durch öffentliche Kunstinstallationen, audiovisuelle Projekte und Partnerschaften mit Festivals wie dem MUTEK. Die Organisation bereitet sich auf die Teilnahme an der Ocean Decade Konferenz der UNO 2025 vor, wo sie TIDAL SHIFTS präsentieren wird – eine audiovisuelle Ausstellung und ein Symposium, das die Meereswissenschaften, Sound und Kunst mit gesellschaftlichem Engagement verbindet.
Politischer Hintergrund in Bewegung
Angesichts der Verschiebung politischer Prioritäten und der Tatsache, dass der Klimaschutz in wichtigen Regionen in den Hintergrund tritt, wird die Arbeit von Organisationen wie MusicForTheSea wichtiger denn je. „Mir ist klar geworden, wie eng die Klimakrise mit sozialer Gerechtigkeit verbunden ist“, reflektiert Francavilla. „Zumal marginalisierte Gemeinschaften am stärksten betroffen sind. Wenn wir es schaffen, uns zusammenzutun und gemeinsam eine Verhaltensänderung herbeizuführen, könnte das der Beginn einer Bewegung sein. Ich erzähle meiner Tochter immer: „Als ich ein Kind war, haben die Lehrer im Unterricht geraucht.“ Sie schockiert das. Aber es gab eine Verhaltensänderung. Was einst normal schien, ist heute undenkbar. Die gleiche Art der Transformation ist im Bereich Nachhaltigkeit möglich, beginnt jedoch auf individueller Ebene und entwickelt sich zu kollektivem Handeln. Echter Wandel hat seine Wurzeln in Gemeinschaften. Mit den Tools, die uns heute zur Verfügung stehen, können Grassroots-Bewegungen zu einer mächtigen Kraft mit globaler Wirkung werden.“
„Tourismus bringt Einnahmen. Aber zu welchem Preis?“
Die Geschichte zeigt uns natürlich auch, dass Regierungen eingreifen und Gesetze erlassen müssen, um einen echten gesellschaftlichen Wandel durchzusetzen. In Francavillas Analogie zum Rauchverbot kam der Wandel nicht über Nacht. „Es begann mit Bewusstsein, dann kamen Daten und schließlich Gesetze“, sagt sie. „Dasselbe muss beim Klimaschutz geschehen. Aber wie bringen wir die Gesetzgeber zum Handeln?“
Die Antwort liegt ihrer Meinung nach im Zusammenspiel von Daten, Storytelling und kulturellem Einfluss. Wissenschaftliche Untersuchungen liefern zwar harte Fakten, aber von Zahlen allein lassen sich die Massen nicht bewegen. „Es braucht kulturelle Stimmen dahinter“, meint Francavilla. „Wenn ein renommierter DJ ein Selfie aus einem Privatjet postet, löst das keine Veränderung aus. Wenn dieser DJ aber von einem emissionsfreien Segelboot aus über den Schutz der Ozeane spricht, könnte das die Leute zum Nachdenken anregen.“

Posidonia-Expedition: an Bord eines 100 % elektrischen und solarbetriebenen Katamarans. Foto von Lorenzo Melissari.
Francavilla weist außerdem auf das große Problem der chemischen Verschmutzung durch Sonnencremes auf Ibiza hin, die den Meeresökosystemen schweren Schaden zufügt. „Die lokalen Regierungen tun das Problem ab, indem sie sagen ‚Beweisen Sie das erstmal.‘“ sagt Francavilla. „Deshalb haben Aktivisten begonnen, die Wasserqualität zu messen, um die direkten Auswirkungen des Tourismus aufzuzeigen. Regierungen brauchen Daten, um die Realität anzuerkennen. Wir brauchen die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Künstlern, Geschichtenerzählern und Aktivisten. Die Institutionen beugen sich, wenn die Menschen es verlangen.“

Der Tourismus auf Ibiza hinterlässt unter der Oberfläche Narben – beschädigtes Posidonia-Seegras zeigt, dass sich das marine Ökosystem in der Krise befindet. Foto von Sabrina Inderbitzi.
Das Narrativ der Jetset-Kultur verändern
Trotz des wachsenden Bewusstseins für Nachhaltigkeit wird der Jetset-Lifestyle, der gern mit der Musikkultur in Verbindung gebracht wird, nach wie vor begehrt und fetischisiert. Große Artists sichern sich noch immer ihr soziales Kapital mit Selfies an Bord von Privatjets oder anderen Luxus- und Status-Symbolen – ein Zeichen dafür, dass dieser konsumintensive Lebensstil für viele immer noch als „Traum“ gilt.
Francavilla zieht noch einmal eine Parallele zum Rauchen: „Es gab eine Zeit, in der niemand zweimal nachdenken musste, bevor er sich im Restaurant eine anzündete. Heute ist das undenkbar. So ein Verhaltenswandel muss auch in der Musikbranche stattfinden, wo sich Künstler dann eher schämen würden, als aus Privatjets zu posten.“
Francavilla deutet an, dass es in den Ambient- und Experimentalszenen bereits ein größeres Bewusstsein gibt. Aber innerhalb der kommerziellen elektronischen Musik, wo Superstar-DJs gern mal wie Götter behandelt werden, sei dieser Wandel schwieriger, sagt sie. „Viele dieser Künstler leben völlig losgelöst von der Natur. Sie reisen mit Privatjets, übernachten in Luxushotels und lassen sich direkt zu ihren Events chauffieren. Es ist schwierig, Veränderungen anzustoßen, wenn die Leute so weit von der Welt entfernt sind, die sie beeinflussen.“
Francavilla hofft, dass in Künstlern und Musik-Profis tiefgreifende, persönliche Veränderungen in Gang kommen, wenn man sie ermutigt, sich wieder mit der Natur zu verbinden. „Wenn man sich direkt mit der Natur beschäftigt, beginnt man ganz selbstverständlich, sich um sie zu kümmern. Dieses Bewusstsein folgt“, sagt sie.

Platges de Comte, Ibiza. Foto von Ricky Rueda.
MusicForTheSea: Wie auf Ibiza Kunst zur Handlung wird
Ibiza wird oft als Partyziel gesehen, aber seine Besucherinnen und Besucher müssen verstehen, dass es auch eines der wichtigsten Meeresökosysteme der Welt beherbergt. „Was vor Ort passiert, hat verheerende Auswirkungen auf das Posidonia-Seegras“, betont Francavilla. „Das Mittelmeer erwärmt sich 20 Prozent schneller als der globale Durchschnitt und es hat bereits 34 Prozent seiner Seegraswiesen verloren. Wir haben nicht mehr viel Spielraum. Wir müssen jetzt handeln.“
Doch trotz der Dringlichkeit ist der Schutz der Ozeane noch immer unterfinanziert. „Nur 1 % der philanthropischen Spenden fließen in den Ozean“, sagt Francavilla. „Das sagt im Grunde alles. Es gibt kaum ein Bewusstsein dafür, wie wichtig der Ozean für die Eindämmung des Klimawandels ist.“

Große Flächen des Seegrases Posidonia oceanica sterben ab – Klimawandel und Umweltverschmutzung sind zwei der Hauptursachen dafür. Foto von Sabrina Inderbitzi.
Durch stärkere Beziehungen zu politischen Entscheidungsträgern und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hofft MusicForTheSea, dies zu ändern und gleichzeitig Bewusstsein für den Ozean in der kulturellen Textur Ibizas zu verankern. Man hat sich mit lokalen Festivals, Meeresschutzkonferenzen wie dem Foro Marino und Organisationen wie Ibiza Preservation sowie True World zusammengetan. Außerdem wächst das Engagement innerhalb der Kultur- und Mindfulness-Communities und auch bei Stimmen aus der Branche wie dem DJ Mag und dem International Music Summit (IMS).
Doch es gibt ein großes Hindernis: Ibizas Clubindustrie. „Das ist ein Monopol“, sagt Francavilla. „Das sind Leute, die Macht für echte Veränderungen hätten, aber sie weigern sich. Ich möchte ja nicht einfach finanzielle Unterstützung – ich möchte, dass sie tatsächliche Schritte zum Schutz des Ökosystems der Insel unternehmen.“
Eine mögliche Lösung, die Francavilla sieht, ist die Blue Ticket Initiative, bei der ein gewisser Prozentsatz der Clubeinnahmen in den lokalen Meeresschutz fließen soll. Aber in einer so profitorientierten Branche ist es nicht allzu einfach, Prioritäten zu verschieben. „Wenn man in Ibiza am Flughafen ankommt, wird man mit Clubwerbung geradezu bombardiert“, sagt Francavilla. „Der Sensibilisierung für die Umwelt der Insel wird dabei kein bisschen Raum gewidmet. Es geht nur ums Geld. „Tourismus bringt Einnahmen. Aber zu welchem Preis?“

Die Folgen menschlichen Handelns sind unübersehbar: Ein verlassenes Fischernetz verfängt sich im empfindlichen Posidonia-Seegras Ibizas. Foto von Sabrina Inderbitzi.
Abgesehen von der Werbung werden Plastikmüll, Energieverbrauch und nicht nachhaltiges Reiseverhalten weiterhin nicht hinterfragt. Francavilla könnte sich auch eine Zusammenarbeit mit Earth Percent vorstellen, einer von Brian Eno gegründeten Organisation, die die Musikindustrie zu Klimaschutzmaßnahmen bewegen soll. „Wenn wir diese Partnerschaft stärken können, wird es für die Clubs schwieriger, uns zu ignorieren. Und wenn wir erst einmal einen vom den großen Clubs davon überzeugt haben, Nachhaltigkeitsprinzipien einzuführen, werden die anderen vielleicht nachziehen.“
Wie deine Musik zum Schutz der Meere beitragen kann
Francavilla sieht eine starke Verbindung zwischen Musiktechnologie und Klimawissenschaft. Dabei betont sie, dass die Verbindung zu diesem Thema nicht auf ein bestimmtes Genre beschränkt ist. Sie weist jedoch darauf hin, dass Ambient- und Experimentalmusik mit ihrem Fokus auf Raum, Textur und organischen Klanglandschaften sich natürlich sehr dazu eignet, die Weite und Zerbrechlichkeit des Ozeans zu vermitteln. Künstler dieser Genres verwenden häufig Feldaufnahmen und Sounds aus der Natur. So schaffen sie Meditationen zum Zuhören, die die Hörenden in Geschichten aus der Umwelt eintauchen lassen. „Die repetitiven und zyklischen Strukturen des Techno spiegeln ebenfalls die Muster der Natur wider“, meint Francavilla. „Durch den Einsatz von modularer Synthese, Sounddesign oder Max for Live – insbesondere mit Fokus auf generative Patterns und Sonifikation – lassen sich natürlich vorkommende Elemente aus unserer Umgebung direkt umwandeln.“

Im Wider Sounds Studio von Francavilla erkundet Grand River das kreative Potenzial von Feldaufnahmen aus dem Ozean. Foto von Coco Francavilla.
Francavilla ruft Musikschaffendw auf, mit kleinen, gezielten Schritten zu beginnen. „Nachhaltigkeit muss sich nicht wie Überforderung anfühlen“, sagt sie. „Manche Leute haben Angst, sie müssten ihre Karriere völlig umstellen, um zum Klimaschutz beizutragen. Aber das stimmt nicht. Es fängt im täglichen Leben an.“
Ein Anfang kann sein, sich an Projekten zu beteiligen, die Kreativität und Naturschutz verbinden. Die SonicOcean-Plattform von MusicForTheSea dient beispielsweise als Archiv, in dem Musikschaffende kuratierte Aufnahmen von Unterwasser-Klanglandschaften herunterladen können. Dazu gehören Sounds von Posidonia-Wiesen, Walen und arktischen Gewässern. Sie alle dienen als Inspiration für neue musikalische Arbeiten und als Tor zu tieferem Wissen über die Ozeane.

Foto von Lorenzo Melissari.
Darüber hinaus regt Francavilla Artists dazu an, alltägliche Entscheidungen zu reflektieren, was einen immensen Effekt haben kann:
- Nachhaltige Entscheidungen beim Touren treffen: Vermeide unnötige Flüge, setzen dich für eine umweltfreundlichere Veranstaltungsproduktion ein und bestehe auf „Blue Tech Riders“ (z. B. kein Einwegplastik auf der Bühne).
- Umweltthemen in die Musik integrieren: Setze Bioakustik, Feldaufnahmen oder Storytelling ein, um die Rolle der Natur hervorzuheben.
- Initiativen wie Earth Percent unterstützen: Wer die Natur als „Songwriterin“ seiner Tracks registriert, kann Lizenzgebühren an Umwelt-Initiativen umleiten.
- Die eigene Reichweite nutzen: Egal, ob du 100 oder eine Million Follower hast: Über Klimaschutzmaßnahmen zu sprechen, trägt dazu bei, sie zu normalisieren. „Musikkultur ist eine globale Bewegung“, sagt Francavilla. „Sie hat schon immer Veränderungen an der Basis vorangetrieben – von der Bürgerrechtsbewegung bis zu Antikriegsprotesten. Wir müssen diese Energie wieder nutzen.“

„The Eye“ von Aquascopio.
Der Ozean ist der Erde Lebensader und Klimaregulator
Für Francavilla ist die Mission klar. „Die Menschheit ist untrennbar mit dem Ozean verbunden. Der Ozean ist unser Lebenselixier. Er bedeckt 71 % unseres Planeten und liefert uns etwa 50 % oder mehr des Sauerstoffs, den wir atmen. Selbst wenn man beispielsweise in Berlin lebt, kommt jeder zweite Atemzug, den man macht, aus dem Meer. Die Erdtemperatur ist unser stärkster Verbündeter bei der Eindämmung des Klimawandels, dennoch sind weniger als 3 % unserer Ozeane wirklich geschützt. Die Klimakrise, mit der wir alle konfrontiert sind, steht in direktem Zusammenhang mit der Gesundheit der Ozeane. Wenn der Ozean leidet, leiden wir. Wir können es uns nicht leisten, darauf zu warten, dass die Institutionen handeln. Die Macht der Veränderung liegt in unseren Händen. Wenn wir als Gemeinschaft zusammenkommen, können wir Musik als Katalysator nutzen – nicht nur, um Awareness zu schaffen, sondern auch für echte, nachhaltige Maßnahmen.“
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Text und Interview: Joseph Joyce