Loscil: Über die Visualisierung von Lake Fire

Unter dem Pseudonym Loscil ist Scott Morgan seit langem eine feste Größe der zeitgenössischen Ambient-Musik. Bereits seit 2001 verfeinert der in Vancouver ansässige Producer ständig seine Formel, die unter einer Oberfläche aus bauschigen Pads und Texturen eine verblüffende Komplexität aufweist.
Das neueste Loscil-Album für Kranky, Lake Fire, ist von den Auswirkungen des Klimawandels auf die nordamerikanische Westküste inspiriert. Die Arbeit daran begann damit, dass Morgan eine ausrangierte Gitarre aufnahm und schließlich ein wenig mehr Synthese einbaute, als er es normalerweise tut. Nachdem die Palette für Lake Fire festgelegt war, baute Morgan daraus neun luftige Arrangements zusammen. Das Experimentieren mit solcherlei frischen Arbeitsansätzen bringt dichte, laute Atmosphären mit sich. Wie Gestrüpp, das auf verbrannter Erde gedeiht, lässt Lake Fire Dornen aus stumpfen Schwingungen wachsen.
Wir haben uns vor Kurzem mit Morgan getroffen, um mit ihm darüber zu reden, wie er Max for Live einsetzt, über sein A/V-Bühnen-Equipment und die Ansätze, die für den Klangsmog von Lake Fire verantwortlich sind.
Diese neue Platte gehört zu deinen bisher düstersten Alben. Es ist inspiriert vom Klimawandel und von Waldbränden und klingt passenderweise ziemlich schwer und verhangen. Mich interessiert, wie es dir gelungen ist, dieses rauchige Gefühl über Sound zu vermitteln.
Ich habe praktisch meine gesamte Karriere lang Texturen in der Musik gewidmet. Dichte ist ein Kernelement der elektronischen Musik, das mich anzieht. Ähnlich wie bei der Fotografie mag ich diese verschwommenen, undeutlichen, aufgeweichten Kanten. Bei dieser Platte wird das vor allem durch eine Menge Resampling, Wiederverarbeitung und Layering von Sachen erreicht. Viele harmonische Akkordcluster werden letztendlich resampled und übereinandergelegt. Eigentlich geht es nur darum, alles zu übertreiben und den Sound dann ein wenig abzufeilen. Es ist quasi eine Remix-Platte meines eigenen Materials. Das Ergebnis ist, dass sie wirklich vollegpackt und dicht ist. Aber das trägt zu dem Gefühl bei, in einem Dunst verloren zu sein.
Welche Techniken hast du benutzt, um dein eigenes Material zu remixen?
Nur Resampling. Viel von dem Material stammt aus dem späten Jahr 2021. Ich hatte mein Album Clara, fertig und wollte neue Sounds ausprobieren. Ich war in einer Residency, in deren Rahmen ich eine Menge Zeit mit dem Resampling einer total alten, kaputten Gitarre verbracht habe. Sie war eigentlich nicht mehr zu gebrauchen. Ich habe sie wieder heil gemacht und wollte noch ein paar letzte Klänge von ihr retten. Ich habe ihre Sounds aufgenommen, sie durch eine granulare Verarbeitung geschickt und dann eine Library mit Content aufgebaut, mit dem ich erstmal gar nichts gemacht habe.

Eine gertettete Gitarre diente als besondere Sound-Quelle für einen Großteil von Loscils neuem Album
Lawrence (English) hat diesen Prozess unterbrochen und wir haben ein paar Platten zusammen gemacht und sind 2023 und 2024 auf Tour gegangen. Aber irgendwann habe ich mich diesem Material wieder gewidmet und einen Track entworfen. Hintergrund war: Lawrence hatte mich nach Australien eingeladen, um dort mit einem fünfköpfigen Ensemble ein Stück zu machen. Basierend auf meiner Sound-Library habe ich ein Bett aus elektronischen Sounds entwickelt, über das das Ensemble spielen sollte. Das gesamte Material habe ich letztendlich weggeworfen und neu gesampelt. Es war ein seltsamer Prozess von rund vier Jahren, bei dem ich lauter Material resampled, neu verarbeitet und neu gelayered habe, und der mich schließlich zu Lake Fire gebracht hat.
Wie passt diese neue Platte deiner Meinung nach in den Kontext deiner gesamten Diskografie? Für mich fühlt sie sich etwas weniger heiter und eher launisch an.
Ich würde sagen, dass es wahrscheinlich die kathartischste Platte ist, die ich unter dem Namen Loscil gemacht habe. Das liegt zum Teil daran, dass mich die Waldbrände und das Klima inspiriert haben. Aber es hat auch damit zu tun, dass ich kreativ an einem Punkt war, an dem ich den Bezug zu dem verloren hatte, woran ich gerade gerade gearbeitet hatte – darum habe ich es weggeworfen, wollte es aber nicht aufgeben sondern neu gestalten. Das ist ein ganz natürlicher Teil des kreativen Prozesses, aber aus irgendeinem Grund schien es bei diesem Projekt notwendig, meine Arbeit zu zerstören beziehungsweise sie aufzugeben und neu aufzubauen. In diesem Sinne ist sie am Ende ziemlich kathartisch und – nicht aggressiv – aber schon düster.
Live bringst du eine ziemlich eindrucksvolle visuelle Inszenierung an den Start. Wie nutzt du Ableton für dieses audiovisuelle Erlebnis?
Ich habe ein Push 3, das mit Ableton connected ist, und ich steuere den Ton. Dazu habe ich zwei Kanäle in Ableton mit einem Max for Live-Patch, das OSC von Ableton an ein Programm namens Resolume schickt. Resolume ist eine VJ-Software. Sie ist sehr ähnlich aufgebaut wie Ableton, nur für Videoclips. Ich kann einzelne Clips triggern. Oder die Deckkraft hoch- und runterfaden. Alle möglichen Steuerelemente von Ableton nutzen, nur mit diesen Max for Live-Dingern, die ich selber gebaut habe. Sie sind total simpel, aber ich kann mit ihnen einfach ein Set an Material zusammenzustellen, bei dem ich mich hundertprozentig auf die Steuerung des Audios konzentrieren kann und das Video dann einfach mitläuft.
Erfordert Live 12 Suite

Wie nutzt du diese visuellen Elemente bei deinen Live-Shows zur Platte, um das Thema Klimawandel einzubinden?
Ich vermeide absichtlich Bilder von Feuer, weil ich sie für zu traumatisierend halte und das nicht mein Ziel ist. Ich mag es, mit Ton und Bild poetisch umzugehen, in dem Sinne, dass es nicht wirklich eine Vorlesung und kein politisches Stück Kunst ist.
Optisch sind die Referenzen meist recht abstrakt. Ich baue gerne natürliche Aufnahmen ein, die ich selbst mit meiner Kamera mache. Ich fühle mich sehr zu einfachen geometrischen Formen hingezogen, die über diese natürlichen Bilder gelegt werden, um einen Kontrast zu erzeugen. Daran kann man sich strukturell festhalten und sie mit Elementen in der Musik verknüpfen. Sehr oft passe ich die Opazitätsänderungen an den Bass-Sound an. Ich interessiere mich sehr für die Filmgeschichte der visuellen Musik und die Ansätze, mit denen man aus filmischer Perspektive seit der Wende zum 20. Jahrhundert experimentiert hat. Meine visuelle Arbeit spielt auf die experimentelle Animation der 50er, 60er und 70er Jahre an. Sie hat ein Feeling, das nicht zu futuristisch ist. Das ist ein eher klassischer Ansatz hinblicklich Collagen und einfachem Layering von Sachen, der für mich sehr befriedigend ist und eine Verbindung zur Musik herstellt.
Welche Filme oder Regisseure begeistern dich? Hast du das Gefühl, dass dein Interesse am Visuellen auch deine Arbeit als Producer beeinflusst, oder sind diese beiden Aspekte für dich voneinander getrennt?
Sie sind zwar getrennt, aber irgendwie aus demselben Holz geschnitzt. Ich beschäftige mich mit Fotografie und habe einige Foto-Zines mit zugheöriger Musik veröffentlicht. Ich mache solche Veröffentlichungen oft als Nachfolger eines Hauptalbums. Ich arbeite im Moment an meinem nächsten Fotobuch. Es gibt einige Verbindungen zwischen der Arbeit mit Fotos und der mit Videos – Stichwort: ähnliche Bildsprache.

Bilder aus einem kommenden Loscil-Fotobuch
Was die Inspiration angeht, fasziniert mich die modernistische Interpretation des Experimentalfilms in der Nachkriegszeit. Zum Beispiel Jordan Belson, James Whitney oder Norman McLaren. Das war die Blütezeit experimenteller visueller Arbeiten, die in die visuelle Musik vorgedrungen sind. Sehr abstrakt, aber auch sehr absichtlich. Ich liebe diese ganzen Sachen und sie sind und bleiben für mich die Go-To-Quelle für Inspiration.
Um auf die neue Platte zurückzukommen: Hast du Hardware oder externe Sound-Quellen verwendet? Und hast du sie in Ableton gesteuert oder verarbeitet?
Ich habe ein Black Corporation Deckard's Dream, das überall auf der Platte vorkommt. Das ist ein japanischer Synthesizer, der einem Yamaha CS-80 nachempfunden ist. Er heißt „Deckard’s Dream“, weil er dem Synthesizer ähnelt, den man beim Original Blade Runner von Vangelis verwendet hat. Er hat einen sehr spezifischen Sound, keinen den ich normalerweise verwenden würde. Das ist ein Boutique-Instrument und ziemlich teuer. Ein Freund von mir hat im Spaß gesagt, das wäre, als ob man sagt: „Cool, du hast dir also einen echt teuren Synthesizer gekauft, um den Loscil-Sound zu imitieren.“ Es stimmt schon, dass ich viel Zeit damit verbracht habe, Patches auf dem Synthesizer zu entwickeln, die im Grunde schlussendlich wie alles andere klingen, was ich je gemacht habe, wo ich zur weiteren Klangverarbeitung meistens Ableton verwendet habe. Oder eine Menge Modulation, sei es durch die Steuerung des Synthesizers mithilfe von LFOs, durch die Modulation des Pannings oder durch die Modulation des EQs, um dem Synthesizer-Sound mehr Bewegung und Leben zu verleihen.
„Arrhythmia“ – der Opener von Loscils Lake Fire
Die einzigen beiden anderen Hardware-Synthesizer auf dem Album sind ein Novation Peak und ein Moog Minitaur für den Bass, was recht unkompliziert ist. Das ist ein Bass-Synthesizer mit zwei Oszillatoren und der Moog-Sound für Bass ist wirklich großartig. Er ist rund und warm und groß. Ich mache nicht viel Nachbearbeitung, außer mit dem Glue Compressor – einer Ableton-Anwendung, die den Sound schön zusammenschiebt. Wenn man viel Bass in den Mix gibt und alles durch den Glue-Kompressor laufen lässt, erhält man so einen gequetschten Sound, von dem man viel auf dem Opener „Arrhythmia“ hört. Man bekommt eine pulsierende Qualität, fast wie bei Dance-Musik.

Granulator – eine der tragenden Säulen von Loscils Ableton-Tools
Gibt es noch andere Ableton-Anwendungen oder -Funktionen, die dich besonders anziehen?
Auf Lake Fire, war es Granulator 2. Aber jetzt gibt es Granulator 3. Ich benutze den regelmäßig, eine richtig tolle Anwendung. Und natürlich alle Basic-Filter, EQs und LFOs. Ich benutze auch den Arpeggiator in Ableton ziemlich oft.
Sampler wäre wahrscheinlich mein Tool für die einsame Insel. Ich könnte eine komplette Platte nur mit dem Sampler und einem Mic machen. Er ist total simpel, geht aber auch ziemlich in die Tiefe und ermöglicht Modulation und Sounddesign. Für vieles, was ich mache, ist er ein ziemlich wichtiges Werkzeug.

Loscils verschachtelte Instrumente
Gibt es irgendwelche Ableton-Hacks, die du im Laufe der Jahre gelernt hast?
Ich verschachtele meine Instrumente gern: Ich gruppiere sie und löse dann die Chain aus, sodass ich beim Live-Spielen spontan zwischen den Racks wechseln kann. Im Live-Kontext bin ich ziemlich darauf angewiesen, weil mir das nur acht Spuren erlaubt. Wenn ich die Instrumente wechseln muss, kann ich einfach eine neue Kette auslösen. Eigentlich eine simple Sache, aber für meine Live-Auftritte und die Art, wie ich mich durch ein Set bewege, ist das unverzichtbar geworden.
Du bringst jetzt schon seit weit über 20 Jahren Musik raus. Hast du schon immer Ableton benutzt? Und wenn ja, wie hat sich dein Prozess mit der DAW seit dem Beginn entwickelt?
Meine allererste Platte habe ich mit MIDI, externen Samplern und Synthesizern gemacht, das war Triple Point. Für die nächsten drei Platten hatte ich meinen eigenen Sequenzer in Max/MSP gebaut. Ich war lange ein ziemlicher Hardcore-Max-Benutzer. Ich bin in den 90er-Jahren an der Uni damit in Berührung gekommen und habe weiter damit gearbeitet. Ich hatte einen benutzerdefinierten Sequenzer und Performance-Tool gebastelt, worauf mehrere meiner Platten basieren.
Irgendwann kam Ableton dazu, aber ich war bei Live irgendwie noch nicht drin. Als Max for Live rauskam, habe ich gemerkt, dass vieles, was ich selber gemacht habe – zum Beispiel Sequenzer bauen und so –, irgendwie unnötig war, weil Live das so gut kann. Also habe ich mit der Migration zu Ableton angefangen und konnte alles, was für meine Max-Arbeit von zentraler Bedeutung war, als Max-for-Live-Gerät portieren. Ich bin immer noch der Meinung, dass einer der genialsten Aspekte an der Arbeit mit Ableton ist, dass man entweder seine eigenen benutzerdefinierten Max for Live-Geräte benutzen oder die Milliarden von Sachen testen kann, die andere Leute erstellt haben. Ich bin so froh, dass Ableton Cycling '74 übernommen hat. Nicht aus geschäftlichen Gründen, sondern um diese Technologie am Laufen zu halten. Das ist für meine Arbeit ganz wesentlich und mir wirklich wichtig.
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Text und Interview: Ted Davis
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Scott Morgan