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James Holden & Wacław Zimpel: Klänge der Transzendenz
James Holden und Wacław Zimpel verbindet ein besonderes Gespür für wilde, ungezähmte Klänge. Holden – DJ und Produzent der ersten Stunde – hat sich seit den 90ern durch spirituellen Jazz, Trance und experimentelle Elektronik bewegt. Zimpel, ein klarinettenspielender Soundtüftler aus Polen, begann mit akustischer Improvisation und entdeckte später die Möglichkeiten digitaler Signalverarbeitung. Ihre gemeinsame Musik oszilliert zwischen Erdverbundenheit und technologischer Innovation.
Auf ihrem ersten gemeinsamen Album The Universe Will Take Care Of You treffen kosmische Weiten auf organische Wärme. Entstanden ist das Ganze mithilfe selbstentwickelter Software und maßgeschneiderter Patches – mit Einflüssen aus Kosmischer Musik, indischer Raga und unorthodoxem Digitalexperiment.
Wir haben uns mit den beiden über granulare Synthese, Minimalismus und Holdens selbst gebaute Software-Umgebung Benny unterhalten.
Wie kam es eigentlich zu eurer Zusammenarbeit?
JH: Als wir uns getroffen haben, wollte ich unbedingt sagen: „Ich liebe deine Musik.“ Und Wacław war genauso drauf. Das war beim Rewire Festival in Holland. Sein Album mit Kuba Ziołek war mein Lieblingsrelease des Jahres – und dann kam er auf mich zu und meinte: „Ich mag dein Album.“
Kurz danach hatten wir schon unsere erste EP zusammen. Wir dachten, wir probieren mal ein paar Tage aus – und es hat sofort klick gemacht. Danach gab es immer wieder Shows und Studiosessions zwischendurch. Es hat sich einfach ergeben, über einen längeren Zeitraum hinweg.
WZ: Genau so läuft das bis heute. Wenn ich in England bin oder James in London ist, gehen wir ins Studio. Kein Masterplan – es passiert einfach, wenn es passt.
James, deine früheren Projekte mit The Animal Spirits waren deutlich cluborientierter. Jetzt ist alles viel luftiger und freier – ein bewusster Stilwechsel?
JH: Für mich ist das alles Teil desselben Weges. Auch wenn hier kaum Drums vorkommen, geht’s im Kern um dieselbe Musik. Ich denke nie in Gegensätzen wie „Club“ oder „Ambient“. Ich folge einfach dem, was mich gerade interessiert – das zieht sich wie ein roter Faden durch alles, was ich mache.
Wacław, deine Klarinette klingt auf dem Album so futuristisch wie selten in elektronischer Musik. Wie kam es zu diesem Ansatz?
WZ: Ich habe lange ausschließlich akustisch gespielt – viel improvisierte Musik. Dann kamen Looper und Effektgeräte dazu, und irgendwann wurde mir der reine Klarinettensound zu vorhersehbar. Ich wollte das Instrument, das ich am besten kenne, klanglich ausdehnen.
Ein großer Einfluss war Terry Riley mit seinen geloopten Saxophon-Experimente aus den 60ern. Das hat sich bei mir definitiv festgesetzt.
Obwohl keine Vocals zu hören sind, wirkt die Musik sehr tiefgründig. Gibt es Themen oder Ideen, die euch beim Spielen leiten?
JH: Wir reden im Studio eigentlich nie über Konzepte. Es geht mehr ums Machen – sich in einen tranceartigen Zustand zu spielen. Klar sprechen wir über Musik, aber selten über „Bedeutung“.
WZ: Wir fangen einfach an zu jammen und schauen, was passiert – welche Farben, Texturen, Grooves uns gefallen. Es geht nur darum, dass es sich für uns richtig anfühlt.
JH: Und genau das ist für mich eine Art Statement. Musik zu machen, die einen selbst glücklich macht – ohne Kompromisse. Das klingt simpel, aber in einer Welt voller Erwartungen ist es radikal.
Indische Musik taucht oft als Einfluss auf. Gab es noch andere musikalische Quellen, die euch geprägt haben?
WZ: Ich glaube, da fließt alles ein, was wir über die Jahre aufgesogen haben. Indische Musik hat uns beide stark beeinflusst – vor allem in Bezug auf Trance und Zeitgefühl.
JH: Als ich The Animal Spirits gemacht habe, war der Ansatz: Synthesizer + Spiritual Jazz. Ein bewusstes Crossover. Dieses Mal war’s anders. Wir haben einfach Dinge ausprobiert – Saxophon durch Modularsysteme schicken, Pitch-Shifter experimentell nutzen... und geschaut, was draus entsteht.
James, du hast eine eigene Musiksoftware namens Benny entwickelt. Was genau macht sie?
JH: Benny ist mein Open-Source-Projekt, das ich ursprünglich gebaut habe, um live mit Modularsystemen und generativen Patches spielen zu können – ohne gegen die Struktur klassischer DAWs anzukämpfen.
Es läuft in Max/MSP, aber hat ein eigenes Interface, gerendert in Jitter und OpenGL. Damit kann ich komplette Modular-Patches quasi als Songs abspeichern. Sobald ich einen neuen Track starte, lädt Benny automatisch die passende Konfiguration. Die Idee dahinter: Der Patch ist der Song.
„Wir hatten kein festes Konzept. Wir haben einfach angefangen zu jammen, Instrumente in die Hand genommen und geschaut, welche Farben, Klänge, Texturen und Rhythmen dabei rauskommen.“
Das System erlaubt es, komplexe, generative Setups zu bauen – mit Loops, dynamischer Klangverarbeitung, ungewöhnlichen Zeitverhältnissen und sogar algorithmischem Notenpicking. Ich verwende z.B. Arpeggiatoren oder Skalen-basierte Zufallsauswahl, um Melodien zu erzeugen. So entstehen oft chaotische, lebendige Klangsysteme.
Es ist wie ein Instrument – aber mit mehr Kontrolle über Melodie und Harmonie, und schneller als manuelles Patchen. Ich habe es so gebaut, dass es sich im Studio intuitiv und "flowy" anfühlt. Inzwischen ist es Open Source, und ein paar andere Leute helfen mit, es weiterzuentwickeln.
Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Benny und Ableton Live?
JH: Benny hat tatsächlich Ableton-Link-Support eingebaut, weil Max das unterstützt. In der Theorie kann man es also problemlos mit Live synchronisieren.
WZ: Haben wir aber ehrlich gesagt nie gemacht.
JH: Die Musik ist einfach zu frei getaktet. Es würde gar nicht viel bringen.
WZ: Genau – das Einzige, was bei mir synchron laufen muss, sind meine Delays und Looper. Und selbst da reicht es, wenn ich die BPMs ungefähr einstelle. Es muss nicht exakt sein – das Unperfekte ist oft genau das, was es spannend macht.
JH: Wenn ich mit Mustern spiele, landen die meistens in irgendeinem Loop oder Delay bei Wacław – da kann man ruhig loslassen.
WZ: Ich spiele live oft auf verschiedenen Keyboards und nutze Granulator ausgiebig. Das ist für mich ein zentrales Werkzeug.
Erfordert Ableton Live 12 Suite
Was kam beim Album eigentlich alles an Equipment zum Einsatz?
JH: Die Klangquellen waren hauptsächlich Klarinette durch Ableton – aufgenommen, gesampelt und dann mit Granulator gespielt. Ein großer Teil entstand über Mikrofone, direkt ins Benny-System. Für eine Session haben wir zusätzlich Percussion-Overdubs aufgenommen. Gemischt habe ich dann wieder über meine Preamps, die ich auch als Klangfärbung nutze.
WZ: Ein zentrales Element war auch das Lautsprechersystem, das wir im Raum verteilt haben – mit verschiedenen Kanälen auf unterschiedliche Speaker. Das hat den Sound des Albums stark geprägt.
JH: In meinem Studio nutzen wir Ableton gewissermaßen als Routing-Zentrale – meistens eine Klangquelle pro Kanal. Um uns herum: Gitarrenverstärker, alte Hi-Fi-Speaker vom Straßenrand, die Studiomonitore, ein Bassamp... war da nicht auch ein kleiner Übungsverstärker? Und in der Mitte standen diese Coles-Ribbon-Mikrofone mit Achtercharakteristik – über Kreuz aufgestellt, also in XY-Anordnung. Wenn man sie in Mid/Side nutzt statt klassisch links/rechts, ergibt das ein unfassbar schönes Stereobild.
Das bedeutet: Wenn du den Sound im Raum verteilst, denkst du nicht mehr darüber nach, wie dein Mix in zwei Lautsprecher passt. Du versuchst einfach, dass der Raum gut klingt. Allein das verändert schon den gesamten Produktionsprozess. Früher, wenn ich am Rechner einen Track angefangen habe, saß ich nach einer halben Stunde am Kompressor – keine andere kreative Aktivität, und die Energie war weg. Wenn du stattdessen einen richtig lauten Sound im Raum erzeugst, wirst du nicht in irgendwelche Workarounds reingesogen, nur um irgendwas aus zwei Boxen rauszubekommen. Du machst erst mal Krach – und verstehst später, wie es funktioniert.
Mehr von James Holden findest du auf seiner Website.
Wacław Zimpel kannst du auf Instagram folgen.
Text und Interview: Ted Davis
Fotos: Justyna Traczyk