Flava D: Evolution einer Producerin

Danielle Gooding, der Welt besser bekannt unter den Namen Flava D, hat sich ihren Platz als prägende Figur der britischen Tanzmusik erkämpft – als Producerin wird sie für ihre Vielseitigkeit, ihre Innovationen und ihre unermüdliche Arbeitsmoral gefeiert. In gut einem Jahrzehnt an der Spitze der britischen Basskultur hat sie es verstanden, sich spielerisch durch Grime, Bassline, UK Garage und Drum & Bass zu bewegen — als Solokünstlerin und als ein Drittel von TQD, zusammen mit Royal-T und DJ Q.
Gooding wuchs zwischen Bournemouth und Birmingham auf. Ihre musikalische Reise begann im örtlichen Plattenladen, wo sie zum ersten Mal Ableton in die Hände bekam und begann, basslastige Instrumentalstücke zu komponieren, die schließlich die Aufmerksamkeit des „Godfather of Grime“ Wiley auf sich zogen. Während sie als Flava D mt Kollaborationen ihre Präsenz im Underground festige, markierte das Release der Garage-Hymne „ Hold On “ im Jahr 2011 ihren wahren Durchbruch.
Mittlerweile ist Gooding nirgendwo Geringeres als bei Hospital Records gesigned – gerade dem Label, zu dem sie schon als Teenager aufschaute – und dort released sie ihr Drum-&-Bass-Debütalbum „ Here & Now“. Ganz typisch für sie vertraut sie bei dem Projekt auf ihr kuratorisches Gehör, überschreitet Genregrenzen und liefert eine umfangreiche Kollektion an Rollern mit jeder Menge Soul, massiven Steppern und euphorischen Rave-Tracks. Rückendeckung gibt's dabei von einer schillernden Parade an Vocal-Features. Das Ergebnis ist ein Album, das als basslastiges Statement einer Künstlerin zu verstehen ist, die auf Weiterentwicklung besteht.

Flava D heizt auf einem Festival ein. Foto mit freundlicher Genehmigung von @khaliphotography
Als Teenager hast du in einem Plattenladen gearbeitet. Bist du so mit Dance in Berührung gekommen?
Der hat schon eine große Rolle gespielt, aber zum ersten Mal bin ich durch meine Tante mit Garage in Berührung gekommen. Damals gab's bei ihr immer die DJ EZ-Compilations, während meine Mama die Trance-/Euphoria-CDs von Ferry Corsten hatte. Mit 16 bin ich tiefer in die Tanzmusik eingetaucht. Damals habe ich in Bournemouth in einem Plattenladen gearbeitet, der Strictly Beats hieß. Der wurde vom ehemaligen DMC-Turntablisten DJ X-rated betrieben. Ich habe hinten im Laden Breakdance geübt und er meinte dann, ob ich nicht ein paar Schichten machen wollte. Der Job dort war eine wirklich tolle Reise in die vielen verschiedenen Arten von Tanzmusik, die es da draußen gibt.
Du hast dich auch als Kind schon sehr fürs Musikmachen interessiert. Hattest du nicht sogar ein Casio-Keyboard?
Das war ein spontanes Geschenk von meiner Mama oder meiner Oma zu meinem achten Geburtstag. Das war eins von diesen winzigen batteriebetriebenen Casios, aber wahrscheinlich das beste Geschenk, das ich je bekommen habe. Es wurde meine Tür, um dem Alltag zu entfliehen und der Einstieg in die Musik. Mit 15 Jahren habe ich mich intensiver mit der Entstehung von Songs beschäftigt, weil einer von meinen Freunden im Plattenladen mit Fruity Loops gearbeitet und mir beim Autofahren immer seine Songs gezeigt hat. Ich habe ihn ständig gefragt: „Wie macht man einen Track?“ Ich hab es einfach nicht gecheckt, bis mein Chef mir eine Version von Ableton mit nach Hause gegeben hat. Zum Glück hatte ich einen PC und konnte einfach damit loslegen, Sounds zu layern und zu strukturieren. Ich habe meine ganze Karriere über Ableton benutzt – es ist das Einzige, was für mich funktioniert!
Gab's eine steile Lernkurve oder war die Bedienung von Ableton für dich einigermaßen intuitiv?
Ich würde sagen, beides. Das Internet war damals nicht dasselbe wie heute – wir hatten nicht einmal welches zu Hause, also wurde ich richtig ins kalte Wasser geworfen. Zum Glück hatte ich viel Freizeit und eine wirklich geduldige Mutter. Ungefähr drei oder vier Jahre lang habe ich quasi in meinem Schlafzimmer gewohnt, habe gelernt und hatte Spaß mit Ableton. Ich habe versucht, die Songs nachzuspielen, die auf Channel U liefen. Ich bin total auf Grime abgefahren und habe versucht, nachzuvollziehen, wie manche Songs entstanden sind und sie zu analysieren. Dann habe ich eines Tages meinen ganzen Mut zusammengenommen, einen meiner ersten Garage-Tracks exportiert und einem DJ-Freund von mir in einer Bar in Bournemouth eine CD damit in die Hand gedrückt. Es waren höchstens vier Leute da, aber er klang ziemlich gut und dort dachte ich: Wow, ich kann tatsächlich Musik machen und sie irgendwo spielen lassen. Von da an hatte ich das Selbstvertrauen, Tracks an MCs zu schicken und zu versuchen, mich in der Grime-Szene etwas zu etablieren. Aber ich war halt im wahrsten Sinne nur eine Bedroom Producerin, die ihre Files von McDonald's aus verschickt hat, was im Nachhinein schon superlustig ist.
Du hast 2020 bei Hospital Records unterschrieben. Angesichts des Rufs des Labels muss das für dich ein entscheidender Moment gewesen sein, oder?
„Hospital“ war meine erste Begegnung mit Drum & Bass. Durch eine CD von Danny Byrd, die ich 2003 in einem gemeinnützigen Laden entdeckt habe. Als ich beim Label gesigned habe, hat mein Kindheits-Ich einfach nur „Omg!“ gebrüllt. Meine Produktionen haben sich zu dieser Zeit sehr verändert, weil ich mich ab da mit anderen Genres beschäftigt habe. Ich weiß nicht, ob das an meiner autistischen Seite liegt, aber ich war zufrieden damit, was ich im Garage-Bereich erreicht hatte, und brannte darauf, Neues auszuprobieren. Ich liebe Dancemusic generell, deshalb habe ich es als Herausforderung begriffen, Drum & Bass zu machen.
Du beziehst dich auf deine neueste LP, Here & Now, die dein erster Schritt in der Welt des Drum & Bass war. Bestand die Herausforderung darin, ein Genre mit sehr etablierten Tropen zu modernisieren?
Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um herauszufinden, wie das Album klingen sollte. Ich habe zu viel gegrübelt und prokrastiniert. Darum bin ich zurück ans Reißbrett gegangen und dachte mir, mach doch einfach „Flava D“ draus. Und das hat eigentlich immer bedeutet, dass ich mir Sounds von überall hole und sie irgendwie zum Funktionieren zu kriege. Nachdem ich mich für diesen Ansatz entschieden hatte, lief alles total flüssig und fühlte sich authentisch an. Ich war neugierig auf Strukturen und Flow. Darum habe ich mir einige Drum & Bass-Alben angehört. Ich wollte sehen, wie sie anfangen und enden. Außerdem wollte ich den aktuellen Standard kennen und ihn als Maßstab haben. Der Weg von Garage zu Drum & Bass war eine krasse Lernkurve, weil die Mixing-Techniken und Frequenzen völlig anders sind. Ich musste mein Gehirn quasi neu programmieren, was das Bauen von Drums und Basslines angeht. Aber ich habe das Gefühl, dass ich durch diesen Prozess ein höheres Level erreicht habe und dass mich „ Here & Now “ als Produzentin schon echt gut repräsentiert.
Wie legst du deine Ableton-Sessions normalerweise an, wenn du ein neues Projekt beginnst?
Ich starte normalerweise bei Null mit einer Art Hintergrund-Noise, das ich als Audio hineinziehe und füge eine Melodie oder einen Akkord hinzu. Dann öffne ich meine MIDI-Spur und suche einen Groove oder Loop, bis mir eine Idee kommt. Ich habe erst vor drei Monaten auf Ableton 12 aktualisiert, weil ich ein Gewohnheitstier bin und mein Gehirn sich an die Software gewöhnt hatte. Aber irgendwann gab's einen Punkt, an dem ich bestimmte Plug-Ins von Collaborators nicht mehr öffnen konnte, weil ich nicht die neueste Version hatte. Für mich sind die wichtigsten Selling Points von Ableton 12, dass man Audio-Patches einfrieren und exportieren, Gruppen innerhalb von Gruppen erstellen und Sachen mit Hashtags versehen kann, um bestimmte Sounds zu finden, ohne ewig durch meine Librarys scrollen zu müssen. Ich mag auch den Convolution Reverb und andere nerdige Features, aber der Workflow-Aspekt ist jetzt noch viel schöner.
Hast du auf eine schon bestehende Library vertraut oder musstest du erstmal einen ganz neuen Ordner mit Drum & Bass-lastigen Sounds erstellen?
Ich benutze seit über 10 Jahren dasselbe Drum-Sample-Pack. Da sind Tausende drin. Ich habe also wahrscheinlich jeden generischen „Amen“- oder „Think“-Break oder Shaker, den du dir vorstellen kannst. Wenn ich einen Track in Schwung halten will, ziehe ich oft einen vorhandenen Break rein und baue dann meine Drums drumherum. Was die Standard-Plugins von Ableton angeht, ist Saturator wahrscheinlich meine erste Wahl für die Wellenform von Bass-Sounds, Drums und Hi-Hats. Um Distortion in Basslines zu bringen, nehme ich Erosion. Für Texturen und Pads ist Omnisphere in meinen Augen eine echt starke Anwendung. Auch wenn ich glaube, dass ich noch lange nicht alles entdeckt habe, was drinsteckt. Auch Serum kenne ich wie meine Westentasche und benutze das gerne für Pads und Bass-Design.
Wie gehst du an Drum-Programmierung heran?
Ich benutze das Drum Rack von Ableton schon ziemlich oft. Wenn ich also irgendeinen Break benutze, packe ich meine eigenen Kicks rein und layere die Snares so übereinander, dass sie auf den Haupttransienten oder eine mittlere Frequenz ausgerichtet sind. Ich bin total begeistert vom Noize 2 Plug-In von Denise Audio. Man kann das Plug-In auf die Drums legen, Patterns emulieren und White Noise drauflegen. Es ist ein so schönes, schnell einsetzbares Tool und es macht alles richtig crunchy – damit kann man buchstäblich seine eigenen Hi-Hats machen! Trackspacer ist auch ein echt gutes Ducking-Tool für Sidechains, mit dem man Breaks runterdrücken kann, sodass bestimmte Frequenzen nicht zu sehr miteinander clashen.
Ist Sidechaining für dich eine eher neue Technik, weil es ja schon gewissermaßen ein Synonym zu Drum & Bass ist?
Ich kannte es vorher schon, aber habe dann gecheckt, dass ich es im Garage komplett falsch gemacht habe. Ich habe jahrelang nicht wirklich verstanden, was ich beim Mixing eigentlich tue – bis 2016 wusste ich nicht einmal, was Kompression ist. Der Producer Champion hat mich ganz schön unter seine Fittiche genommen und mir Tiefen erklärt, wie wichtig es ist, dass der Subwoofer dort ankommt, wo er hingehört. Und auch die Prinzipien des Sidechaining, damit der Bass nicht mit der Kick clasht. Bis dahin war ich eher auf Einsteiger-Niveau unterwegs. Aber jetzt benutze ich die ShaperBox von Cableguys. Da kann man triggern, dass bestimmte Sounds runtergehen, sobald ein anderer gespielt wird und auch manuell steuern, wie stark die Frequenz abfällt. Seit ich diese Techniken kenne, finde ich, hat sich mein Drum & Bass-Game vom Sound her echt verbessert und die Tracks knallen in Clubs noch besser.

Flava D formt Frequenzen auf ihrer bewährten Novation Bass Station II
Producer starten oft mit Software und bestücken ihr Studio mit physischem Equipment, sobald sie es sich leisten können. Bist auch du diesen Weg gegangen?
Was ich echt liebe, ist meine Novation Bass Station II, weil es einfach manchmal Spaß macht, mit den Händen manuell an Knöpfen zu drehen und Sounds zu formen. Ich liebe Keyboards schon, aber mein Laptop ist halt praktisch dafür, um auf Zug- oder Flugreisen Musik zu machen. In diesem Sinne bin ich es gewohnt, mit Software schnell und effizient zu arbeiten. Für manche Leute sind Hardware-Teile sowas wie Sammlerstücke – kleine Trophäen, die schön anzusehen sind und mit denen man Spaß haben kann, die aber zu Musikmachen nicht immer notwendig sind.
Bitte beachte, dass dieses Live-Set und alle enthaltenen Samples ausschließlich für Bildungszwecke sowie zum Experimentieren bestimmt sind und nicht für kommerzielle Zwecke verwendet werden dürfen. Erfordert Live 12 Suite.
Erzähl uns etwas über den Titeltrack Blackwall Tunnel. Kannst du dich erinnern, wonach du ursprünglich gesucht hast und wie er sich entwickelt hat?
Das ist ein Jungle-lastiger, clubbiger Track, den ich in meinen Live-Sets hatte, dem aber eine raue, düstere Roller-Melodie gefehlt hat. Ich wollte, dass er zum Stil des Albums passt. Ich saß im Zug auf dem Heimweg von einem Gig und mir kam eine Idee, um ihn weiterzuentwickeln: mit einem Tribut an den rauen Sound der späten 90er – man denke an Goldies Metalheadz oder einen meiner Lieblings-Drum & Bass-Producer, S.P.Y. Auf dem Album gibt's einige Titel, die man hervorragend im Auto oder bei einem Barbecue hören kann. Blackwall Tunnel eignet sich wiederum bestens für einen Double Drop. Der ist definitiv dafür gemacht, um auf schwitzigen Rave-Partys in dunkler Atmosphäre unter niedrigen Decken abgefeiert zu werden.
Dein Sinn für Spielerisches kommt in Tracks wie Do You Want Me schön zum Ausdruck. Kann der Sounddesign-Ansatz dabei intuitiv sein oder ist das eher ein technischer Prozess?
Das meiste, was ich mache, ist intuitiv. Es hat wirklich Spaß gemacht, diesen Track zu bauen, weil ich zum ersten Mal meine eigene Stimme zusammen mit einer KI verwendet habe. In dem Track gibt's eine Menge Bass-Design und neue Techniken, die ich vorher noch nicht verwendet habe. Es hat echt Bock gemacht, die LFOs und ein paar der Bass-Sounds und Akkorde zu programmieren, die immer noch einen Garage-Einfluss von damals haben.
Die meisten KI-Tools für Vocals stecken noch in den Kinderschuhen. Welche Software klingt deiner Meinung nach natürlich?
Ich benutze ein Programm namens Audimee, bin aber sehr vorsichtig, was die Verwendung von KI angeht. Ich werde niemals aufhören, mit Vocalisten zu arbeiten und würde KI nie für mehr als nur eine Phrase hier und da verwenden, aber ich bin halt kein Sänger. Ich kann halbwegs harmonisch singen, aber ich habe einfach gemerkt, dass man mit KI Stimme, Töne, Vibrato oder auch die Dauer eines gesungenen Tons leicht anpassen kann. Ich finde das besser, als dasselbe Splice-Sample wie alle anderen zu benutzen, weil es immer noch von mir persönlich stammt und niemand sonst es reproduzieren kann. Mir ist bewusst, dass KI alle möglichen Dinge im Leben ersetzt, aber sie kann echte menschliche Emotionen nicht ersetzen und es wird immer Künstlerinnen und Künstler geben, die dieses Gefühl der Authentizität bewahren wollen.
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Text und Interview: Danny Turner
Fotos mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und Khaliphotography