Gamelan als ensemblebasierte Musik ist in Indonesien zu Hause und in vielerlei Hinsicht repräsentativ für das südostasiatische Land. Die komplexe, überlieferte Musik zeigt eine breite Vielfalt an regionalen Varianten. Damit ist Gamelan sowohl ein integraler Bestandteil als auch ein Spiegel der indonesischen Lebenswelt.
Künstler:innen
Uwalmassa: Gamelan im Umbau

Mit diversen Formen von Metall- und Holzschlagwerk, Gongs, Chimes, Saiteninstrumenten, Bambusflöten und Xylophonen nimmt Gamelan im kulturellen Erbe Indonesiens einen zentralen Platz ein. Für die meisten säkularen und religiösen Rituale ist es unverzichtbar, zu zeremoniellen Anlässen ebenso wie für Tänze und Schattenspiele. Auch westliche Komponisten wurden davon maßgeblich beeinflusst, so etwa Claude Debussy, Erik Satie, John Cage und Steve Reich, die alle den harmonischen Polyrhythmen des Gamelan hohen Respekt zollten. Vor ungefähr zehn Jahren trat es in die Welt der modernen Elektronischen Musik ein. Von Aphex Twin über Kode9 und Squarepusher bis hin zu Four Tet haben alle die facettenreichen Klangfarben der Drums, die Kaskaden von Glocken oder die rituellen Gesänge gesampelt und bearbeitet. Damit haben sie diese Eigentümlichkeiten einer neuen Generation von Hörern erschlossen.
Verschiedene Künstler lassen existierende Gamelan-Tracks in moderne Clubsounds einfließen. So sucht David Attenborough zur Zeit nach Producern, die seine Aufnahme einer balinesischen Gruppe von 1956 remixen wollen. Doch ein Trio aus Jakarta hat noch etwas ganz anderes erreicht.
Bekannt als Uwalmassa dekonstruieren Harsya Wahono, Randy Pradipta und Pujangga Rahseta mit einem Mix aus indonesischen und westlichen Tools das Gamelan. Ihre Hände formen die reiche Tonalität des Gamelan zu einer minimalistischen Palette von Synth-Arpeggios mit viel Nachhall um. Am Ende ergibt sich ein experimenteller und doch dancefloortauglicher Sound, der den jungle- und tribal-angehauchten Ambienttechno innerhalb der dichten Skalen und Rhythmen des Gamelan neu positioniert.
Indem sie die lebhaften Percussion, Blas- und Saiteninstrumente des Gamelan auffächern und gleichzeitig westliche Stilelemente miteinbeziehen, siedelt sich die Musik von Uwalmassa in einer klanglichen Nische an, die genauso meditativ wie dynamisch ist. „Wir wollten etwas machen, was für indonesische Ohren vertraut wirkt und dennoch fremdartig und mehrdeutig klingt“, erzählt Wahono am Telefon. International ist das durchaus angekommen. Uwalmassa spielten 2017 als Teil einer Konzertserie, die im Berliner Berghain von Rabih Beanih kuratiert wurde, dem Labelboss von Morphine, wo ein Jahr später ihr Debütalbum BumiUthiri herauskam. Wahono, Pradipta und Rahseta betreiben außerdem das Label Divisi62, wo ihre anderen Projekte und Soloarbeiten erscheinen.
Das Soloprojekt von Harsya Wahono bearbeitet ähnliches Terrain wie sein Trio Uwalmassa.
Klänge im Dialog
Der kompositorische Ansatz von Uwalmassa gründet sich auf den Ideen des Free Jazz. Improvisation sowie häufige Tempowechsel und emotionale Intensität sind für die Arbeit des Trios ebenso zentral wie für Ornette Coleman und Pharaoh Sanders. Fängt das Trio ein neues Stück an, nimmt es sich oft zuerst einmal selbst beim Spielen verschiedener Gamelan-Instrumente auf. Dazu zählen unter anderem Kacapi (Kastenzither), Slompret (Doppelrohrblattinstrument), Kempul (vertikale Metall-Gongs), Bonang (horizontale, kesselförmige Gongs), Suling (Bambusflöte), Saron Peking (eine Art Metallophon) und verschiedene Formen von Kendang (Trommeln mit Doppelmembran).

Bei Uwalmassa gehören indonesische Percussion- und Saiteninstrumente ebenso zum Inventar wie Computer und Effekte.
Solche Aufnahmen kombinieren sie mit Versatzstücken aus ihren Konzerten, bearbeiten sie dann digital und fügen sie neu zusammen. In dieser Phase werden die Samples oft bis zur Unkenntlichkeit durch die Mangel gedreht. Gern schraubt das Trio an Polyphonie und dissonanten Akkorden herum oder verwurstet Drums zu Melodie-Instrumenten. Auch Standardeffekte wie Delays und Reverb verwendet es, um die Originalaufnahmen weiter zu verformen. Das Ziel besteht darin, „einen Dialog zu schaffen zwischen natürlichen, synthetischen und stark bearbeiteten Sounds“, wie Wahono erklärt.
Ableton Live spielt für Uwalmassa beim Produzieren eine wesentliche Rolle. „Mein Lieblingstool ist der einfache Sampler“, so Wahono. „Dort ziehe ich ein langes Sample von einem live eingespielten Instrument hinein und weise jeder Taste eine andere Stelle im Sample zu, wodurch der Eindruck von einem Loop entsteht.“

Uwalmassa beim Performen
Bei den Live-Konzerten tritt Wahono als Dirigent auf und spielt gleichzeitig die Kendang, deren selbstgebautes MIDI-Modul Zufallsnoten triggert und an einen externen Synthesizer schickt. Unterdessen ist Pradipta typischerweise an der Suling, dem Keyboard oder der Kacapi, während Rahseta sich an Sampler und Drummachine zu schaffen macht. „Wir haben eine lose Sammlung an Vorlagen für Songanfänge, Mittelteile und Enden. Das ist unser Leitfaden, aber größtenteils ist das Gespielte komplett improvisiert,“ erklärt Wahono.
Ständig bereit umzuschalten, ändern Uwalmassa immer wieder gern ihr Setup. „Wir bemühen uns, unterschiedliche Instrumentenpaarungen auszuprobieren und neue Methoden zu finden, damit die Konturen der Instrumente und ihre kompositorische Bedeutung variieren“, sagt Wahono. „Der Grundgedanke ist, dass jede Performance anders als die vorherige wird, sowohl was das dargebotene Material angeht als auch die Aufführungspraxis.“

Eine von Uwalmassas Inspirationsquellen: Der indonesische Maler Raden Saleh kombinierte traditionelle Themen mit westlichen Techniken.
Inspiriert von den indonesischen Avantgardekünstlern der 1970er Jahre, beziehen sich Uwalmassa auf das Vermächtnis von Malern wie Raden Saleh, der traditionelle Themen mit westlichen Techniken kombinierte. Ebenso wie ihren Vorgängern geht es Uwalmassa darum, „das Erbe zu nutzen und es für Gegenwart und Zukunft zu interpretieren statt den konventionellen Weg zu gehen und es zu bewahren, was potenziell mehr Grenzen schafft.“

Das Erbe für die Zukunft
Mit seinen über 17.000 Inseln bildet Indonesien die größte Inselgruppe der Erde und steht weltweit auf Platz vier der bevölkerungsreichsten Länder. Neben seinen zahlreichen kulturellen Reichtümern kann sich Indonesien auch seiner tiefgreifenden Tradition von stürmischen, energiegeladenen Tänzen rühmen, die in Kontexten von Volksmusik, Religion, Zeremonien und Unterhaltung stattfinden. Abgesehen vom Gamelan gehören auch Dangdut, Jaipongan und Keroncong zu den populären Genres. Zu untersuchen, wie sich die zahlreichen Musikstile miteinander verschmelzen und in einem modernen Rahmen neu denken lassen, ist für Uwalmassas Vision wesentlich.
Auf dem riesigen Archipel gibt es mehrere Gamelan-Schulen, wobei die javanische, sundanische und die balinesische die bekanntesten sind. Jede verfügt über einen eigenen Kompositionsstil und besondere Instrumentenkombinationen. Die javanische Version ist eher langsam und trance-orientiert – eine Verneigung vor den Sufi-Lehren, die im 15. Jahrhundert auf der Insel Java grassierten. Die Insel Bali hingegen blieb hinduistisch und entwickelte beim Gamelan einen höheren Puls mit plötzlichen Tempovariationen.
Wir versuchen, aus jedem Stil ein Element herauszugreifen und diese dann miteinander zu verschmelzen“, führt Wahono aus. „Bei diesem Prozess kombinieren wir alles zu neuen Instrumenten und Texturen. Das haben indonesische Künstler schon früher gemacht, aber erst in den vergangenen Jahren hat es sich verbreitet.“
Auf die Frage hin, wie Uwalmassa es schaffen, mit Gamelan zu experimentieren und gleichzeitig die Authentizität zu bewahren, verweist Wahono auf die sich ständig weiterentwickelnde Natur des indonesischen Brauchtums. Er merkt an, dass auf Java an sich bereits mehrere verschiedene Stile existieren, weil sich die Regionen gegenseitig beeinflussen. „Als die Menschen früher von Sumatra und Kalimantan nach Java übergesiedelt sind, brachten sie ihre regionalen Traditionen mit und so entstanden unterschiedliche Gamelan-Ensembles“, legt Wahono dar. Er verweist darauf, dass einige Praktiken auf Java bereits ausgestorben sind.
„So etwas wie originalgetreues Gamelan gibt es gar nicht, weil es ständig Neues hervorbringt und sich ändert,“ folgert Wahono. „Wir experimentieren da mit etwas herum, das schon an sich mehrfach modifiziert ist. Also besteht die einzige Authentizität, die wir bewahren müssen, darin, es weiterzuentwickeln und zu erneuern.“
Bleiben Sie mit Uwalmassa über Bandcamp in Kontakt.
Text und Interview: Nyshka Chandran