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Spill Tab: Zwischen Allen Stühlen

Die in LA lebende französisch-koreanische Songwriterin Claire Chicha als weit gereist zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Sie wurde in Bangkok geboren und hat ihre Kindheit mehr oder weniger im Postproduktions-Studio ihrer Eltern in LA verbracht, bevor familiäre Umstände sie noch einmal auf ganz andere Kontinente geschickt hat – nach Thailand und dann nach Paris. Bei alledem hat sie verschiedene Musikkulturen in sich aufgenommen.
Nach ihrer Rückkehr nach LA erweiterte Chicha ihre Performance-Skills, indem sie an Gesangswettbewerben in den gesamten USA teilnahm und später Musikbusiness an der NYU studierte. Die Sommermonate nutzte sie für Praktika in der A&R-Abteilung von Atlantic Records und feilte gleichzeitig an ihrem eigenen Sound. Die Debütsingle Decompose konstatierte ihren ersten Erfolg als Spill Tab – ein Projekt, das sich über eine Reihe von Singles und EPs hinweg durch die Energie aus verschiedenen Genres auszeichnet.
Nachdem sie jedoch bei Arista Records unterschrieben hatte, hatte Chicha keine Lust mehr, dem kommerziellen Erfolg hinterherzujagen, und fasste den Mut, das Label zu verlassen und sich dem zu widmen, was ihr am wichtigsten ist: Experimentieren und Gemeinschaft. Die nächsten fünf Jahre verbrachte sie dann damit, bei Ableton-Sessions mit Freunden, Musikern und Co-Produzenten Reise nach Jerusalem zu spielen, um ihr ausgefeiltes und zutiefst persönliches Debütalbum „ ANGIE “ zu produzieren – eine furchtloses Experiment mit jazzig angehauchtem Alternative-Pop und reduzierten, gitarrenbetonten Bekenntnissen.
Deine Eltern hatten ein Produktionsstudio, was darauf schließen lässt, dass sie sich nicht nur oberflächlich für Musik interessiert haben oder?
Meine Eltern haben sich in Bangkok kennengelernt, wo ich geboren wurde. Mein Vater war Musiker und Komponist und spielte Saxophon und Flöte – er ist ein Jazz-Typ, und meine Mutter hat sich als Kind in Südkorea selbst Klavier beigebracht und liebte klassische Musik. Sie hatten durchaus klar vor Augen, was sie machen wollten, mussten aber auch Geld verdienen. Also haben sie eine riesige Tonbühne gebaut, wo man 60-köpfige Orchester aufnehmen und Musik für Film und Fernsehen recorden konnte. Da gab's kein Nine-to-five-Business. Deswegen drehen sich viele meiner Erinnerungen darum, wie ich nach der Schule im Studio rumrannte und dort abhing, was sich schon wie eine ganz besondere Kindheit anfühlt.
Du bist in einer Welt voller Instrumente und Technik aufgewachsen. Was hat dich zum Produzieren mit Software gebracht?
Das mit dem Produzieren kam erst viel später: in meinem letzten Collegejahr bei der Zusammenarbeit mit meinem Freund David Marinelli. Meine Produktionen haben sich nur darauf beschränkt, Tracks aufzunehmen und sie leicht zu komprimieren; Teile aus Vocal-Tracks und aufgenommenen Instrumenten herauszuziehen und sie zusammenzufügen. David war in LA und ich habe in New York gelebt, also haben wir uns einfach gegenseitig Stems geschickt. Dann habe ich angefangen, mich mit Sampling zu beschäftigen und mein Einstieg bestand darin, herauszufinden, wie man Ableton benutzt. Am Anfang kommt es einem ein bisschen vor wie ein Raumschiff, aber als es plötzlich bei mir Klick machte, wusste ich, dass es das einzige sein würde, was ich jemals benutze.

Schon auf deiner Debütsingle „ Decompose“ zeigst du ein solides Verständnis für Audioproduktionen. Du hast das offenbar recht schnell gelernt, oder?
Damals saß David hauptsächlich am Computer, ich habe geschrieben oder Instrumente eingefügt und neben ihm Sachen gemacht. Was an dem Song besonders Spaß gemacht hat, war, dass viele der Samples Außenaufnahmen waren. Wir sind in LA in Bars gegangen und haben da einen Flipperautomaten aufgenommen oder mit Küchenutensilien und Maschinen herumgespielt. Diese Sounds haben wir als Drum-Layers oder Texturen benutzt. Es hat richtig Spaß gemacht, aber Decompose war auch eine echte Offenbarung im Hinblick darauf, was man mit Ableton machen kann. David hat mir in dieser Zeit viel darüber beigebracht, wie man einzigartige Sounds schafft oder zumindest welche, die sich von Vorhandenen unterscheiden.
Während der Pandemie hast du bei einem großen Label unterschrieben, es aber anschließend wieder verlassen. War das ein entscheidender Moment für deine Karriere?
Ich hatte als erstes bei Arista unterschrieben, was damals sehr sinnvoll war. Die Erfahrung hat mir total gefallen, aber es hat sich gleichzeitig auch nicht ganz richtig angefühlt, weil es in der Natur von Majors liegt, wirklich kommerzielle Musik zu machen. Man sollte meinen, ich hätte das vor der Vertragsunterzeichnung wissen müssen. Aber ich habe halt gedacht, sie hätten mich unter Vertrag genommen, weil ich keine klassische Popmusik mache. Also gab's da verschiedene Vorstellungen, in welche Richtung das Projekt gehen sollte. Wir alle wollen gern glauben, dass die Musikindustrie eine schöne, esoterische und kreative Sache ist, aber irgendwann wird einem klar, dass es im wahrsten Sinne des Wortes nur um Kohle geht. Zwischen Kreativen und Geschäftsleuten scheint es immer Spannungen zu geben – insbesondere bei großen Künstlern auf hohem Niveau, obwohl das eine ohne das andere nicht existieren kann.
Trotzdem war es ein mutiger Schritt. Wolltest du deine Musik anschließend selbst veröffentlichen oder eher zu einem Label wechseln, das deiner Vision mehr entspricht?
Ich habe schlussendlich bei einem ganz fantastischen französischen Label namens Because Music unterschrieben und war hocherfreut, dass sie in mir etwas gesehen haben, weil sie in den letzten 30 Jahren echt einige der coolsten Acts unter Vertrag genommen haben. Meine ultimative Herausforderung bestand darin, mit einem neuen Partner bewusst nicht zusammenzuarbeiten, bis ich mit dem Schreiben meines Debütalbums fertig war. Ich wollte einfach von niemandem Feedback haben. Man muss sich selbst kennen, und ich bin ein Menschenfreund – wenn ich irgendwelchen Input kriege, fällt es mir wirklich schwer, nicht zuzulassen, dass dieser in mein Gehirn eindringt und mein Handeln beeinflusst. Meine Lösung bestand letztendlich darin, mir eine Umgebung zu schaffen, in der ich frei kreativ sein und die Musik machen konnte, die mich begeistert. Und als das Album fertig war, konnte ich jeden dazuholen, der Spaß daran hatte, irgendwas beizusteuern.
Du sprichst natürlich von deiner Debüt-LP, ANGIE. Welche Art Hilfe hast du denn gebraucht, um deine Songs weiterzuentwickeln, nachdem du sie eigentlich fertig hattest?
Als mir das Konzept des Albums klar war, wollte ich unbedingt noch mehr Musik machen, die sich darum dreht, wie oft man Dinge zwischen der organischen und der digitalen Welt hin und her werfen kann. Nachdem ich den Titeltrack Pink Lemonadegemacht hatte, habe ich mich riesig darauf gefreut, noch mehr Songs ins Programm zu holen. Ich habe dann angefangen, Musik durchzugehen, von der ich wusste, dass ich sie noch fertigmachen will und auch noch mehr zu schreiben, das gut in diese Welt passt. Zu dem Punkt, Leute reinzuholen: Das war wahrscheinlich der lustigste Teil. Ich habe meinen Freund Mikey Freedom Hart – einen unglaublichen Gitarristen – um ein paar seiner großartigen akustischen Fingerpicking-Lines gebeten. Und Danny Dwyer als phänomenalen Trompeter, dass er sein Instrument auf der gesamten Platte einbringt. Er spielt auch Streicher, also haben wir eine Geige darübergelegt. Es hat echt Spaß gemacht, nicht-traditionelle Instrumente aus der Indie-Musik in das Projekt zu integrieren.
Die Hörner in Adore Me und Hold Me verleihen beiden Tracks einen sehr edlen, klassischen Klang. Warum hast du echte Hörner anstelle von Software-Emulationen benutzt?
Man erkennt Hörner, die live aufgenommen wurden immer, weil sie schwer künstlich nachzumachen sind. Auch, weil es sich um schwer zu spielende Instrumente handelt. Dazu kommen menschliche Fehler, die real gespielte Instruments zu etwas so Schönem machen. Ich wollte nicht die Zeit der Leute damit verschwenden, dass ich einen Freund drei Tage ins Studio hole, nur um später zu merken, dass wir so nicht die Vision erwischen, die wir eigentlich umsetzen wollten – ich wollte, dass Danny improvisiert, um sagen zu können: „Mir gefällt, was du grad gemacht hast. Kannst du das noch einmal machen und dann diese drei Noten hinzufügen und die Melodie steigern.“ Dabei geht's um Dialog – und mit einem VST-Plugin kann man kein Gespräch führen.
Hast du in Ableton Demos geschrieben, bevor du sie mit Session-Musikern ausgearbeitet hast?
Der Prozess war unterschiedlich. Ich habe oft Sessions gemacht und hatte dann einen Instrumentalpart, der mir gefiel, wusste aber nicht so recht, was ich mit dem Rest anfangen sollte. In diesem Fall habe ich die Stems mit nach Hause genommen, in Ableton daran herumbastelt und kleine Vocal-Lines eingefügt oder Teile verschoben. Mir fällt es ansonsten ziemlich schwer, während ich mit anderen Leuten in Sessions bin, Melodien und Texte zu schreiben, einfach weil jemand mit im Raum ist. Meistens warte ich, bis alle zum Mittagessen gehen, bevor ich meinen Gesang aufnehme. Viele Producer mögen das anscheinend, weil wir uns so alle am Computer abwechseln können.
Gibt es Songs, die für genau diesen Prozess stehen?
Als wir Pink Lemonade produziert haben, gab es einen kleinen Orkan im Raum. Im Wesentlichen fing das mit einem Jam von Jared, John und mir an, bei dem wir ein Drum-Kit, Bass und Gitarre benutzt und 45 Minuten lang Reise nach Jerusalem gespielt haben. Wir haben einen Kreis gebildet und jeder hat dabei für jeweils 5–10 Minuten auf einem der Instrumente gejammt. Anschließend haben wir immer 10 Sekunden davon genommen, Pitch oder Geschwindigkeit hochgedreht und das als Grundlage für einen Song genommen. Dann haben wir 808-Drum-Samples, eine E-Gitarre, eine verzerrte Topline und noch eine Menge anderer merkwürdiger Sachen hinzugefügt, bevor ich ein paar Vocals gepitched und gelayered habe. Es war etwas crazy, weil mein Freund David an dem Nachmittag auch dabei war und wir alle vier Ableton verwenden. Das wurde zu einer wirklich lustigen Angelegenheit, weil immer irgendwer zum Computer gerannt ist und Sachen eingefügt hat. Es gibt zwei Ebenen: die Seele des Songs, die 80 % davon ausmacht, und seine Fertigstellung, bei der wir gut und gerne zwei Wochen damit beschäftigt sind, allem die richtigen Frequenzen zu verpassen.
Magst du uns etwas zur Vocal-Bearbeitung beim Track by Designerzählen? Da geht's geht los mit sehr viel Auto-Tune, bevor es in einen recht weichen und natürlich klingenden Gesang übergeht…
Ich bin ein Riesenfan von Alex G und er hat einen Song, bei dem die Synthesizer einfach total durchdrehen, sägezahnartig und richtig aggressiv werden. Ich wollte das mit meiner Stimme irgendwie nachahmen, so dass es richtig wütend klingt, und Synthesizer verwenden, um diese Emotion nachzuzeichnen. Das Lied ist ein Super-Beispiel für glücklicher Zufälle. Ursprünglich sollte die Gesangslinie, die ich aufgenommen hatte, nicht so sehr mit Auto-Tune bearbeitet werden. Aber wir haben ein paar Vocal-Takes gemacht, die ein wenig zu hoch waren, und darum Auto-Tune draufgelegt. Die Standardeinstellung war sehr hoch und ziemlich hart, aber auch echt krass. In der zweiten Hälfte des Stücks wollte ich die Melodie aus der ersten Hälfte, die ich wirklich schön fand, neu harmonisieren und sie in einen neuen Kontext setzen. Ich bin ein Fleetwood-Mac-Fan und ich finde, dass dieser Part sowas wie eine Ode an ihren Einfluss ist.
Erfordert Live 12 Suite
Welches Element der Arbeit in der Box gibt dir die größte Befriedigung?
Am meisten Spaß macht es mir, Ableton-Clips durch Pitchen oder Beschleunigen oder Herumspielen mit Abletons Complex Pro so zu verändern, dass weirde Texturen dabei entstehen. Ich benutze auch viele UAD-Plugins von Drittanbietern, weil sie offenbar am besten zu der Art von Musik passen, die ich machen möchte. Ableton ist die einzige DAW, die es mir ermöglicht, mit Clips so zu arbeiten, wie ich es möchte, und die gleichzeitig ein maximal benutzerfreundliches Layout hat. Ich benutze die Automatisierungs-Controler, als würde ich Luft atmen – ich mache im Grunde nix anderes! Es gab eine Zeit, wo ich dachte, dass ich Pro Tools lernen müsste, weil ich viel mit Vocal-Tracking und -Comping arbeite. Aber als Ableton Take-Lanes integriert hat, dachte ich: „Damn, das ist wirklich einfach alles, was ich jemals an Musiksoftware brauchen werden.“
Es kommt selten vor, dass deine Songs länger als drei Minuten sind. Ist das eine Generationensache und hängt sie vielleicht mit der algorithmischen Natur von Spotify zusammen?
Ich weiß, das ist eine ziemlich arschige Sache und ich würde es hassen, wenn jemand das mit meiner Musik macht, aber wenn ich Auto fahre, höre ich mir oft die ersten 90 Sekunden eines Lieds an und springe dann zum nächsten. Ich vermute, ich leide unter ADHS, was nie diagnostiziert wurde – viele Songs, die ich früher veröffentlicht habe, waren nur 90 Sekunden bis zwei Minuten lang, weil ich mich nicht länger auf einen Song konzentrieren konnte. Und wenn nicht einmal ich zwei Minuten lang meine eigene Musik hören kann, werde ich auch niemand anderen dazu zwingen (lacht).
Ihr habt auch darüber geredet, dass du am Imposter-Syndrom leidest. Glaubst du, dass sich dieses Gefühl eher durch die Kraft deiner Arbeit oder durch die Anerkennung der Kritiker auflösen werden?
Schwierig zu sagen. Ich habe mein Imposter-Syndrom am stärksten gespürt, als meine Karriere gerade anfing richtig aufzublühen. Gerade am Anfang habe ich so viele Komplimente von Leuten bekommen, aber ich hatte immer das Gefühl, mein Erfolg sei ein Fehler oder eine wunderbare Kombination von Dingen, die ich nicht wiederholen könnte. Ich glaube, das hat weniger was mit der Welt da draußen zu tun, als mehr mit der Welt in mir und meiner Selbstwahrnehmung. Ich glaube nicht, dass ich diese Gefühle jemals wirklich loswerde, weil es immer jemanden geben wird, der besser ist als ich. Aber natürlich möchte ich gleichzeitig nicht, dass meine Kunst irgendwas anderes ist als meine eigene.
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Text und Interview: Danny Turner