
Der Chicagoer Perkussionist und Komponist Glenn Kotche gilt als einer der aufregendsten, kreativsten und vielversprechendsten Akteure auf dem Gebiet der Modernen Musik. Für die `Chicago Tribune` basiert seine exponierte Stellung innerhalb der Szenerie auf "Geschmackssicherheit, Technik und Disziplin".
Neben seiner zeitintensivenTätigkeit als Schlagzeuger der Band Wilco veröffentlichte er kürzlich auf Canteloupe Records sein zweites Solo-Album mit dem Titel Adventureland. Außerdem arbeitete er mit dem vielfach ausgezeichneten Kronos-Quartett zusammen. Das wegweisende Ensemble machte bereits mit etlichen Kollaborationen auf sich aufmerksam – von The National bis Allen Ginsberg. Und hunderte Kompositionen wurden eigens für das Quartett geschrieben, darunter von Komponisten wie Henryk Gorecki oder Steve Reich. Seinen Beitrag zur Kollaboration “Anomaly” fasste Kotche in einem 7-Kanal Ableton Live Set zusammen. Das sofort nutzbare Set ist via blend.io, der Online-Plattform für interaktive Musikprojekte, erhältlich.
Die Takes von "Anomaly" wurden vom zertifizierten Ableton-Ausbilder Josh Hogan zu spielbaren Sessions gemacht. Vor kurzem trafen sich Kotche und Hogan, um das "Anomaly"-Projekt noch einmal Revue passieren zu lassen. Sie sprachen dabei über die besondere Herausforderung, mit Streichern zu arbeiten und wie am besten man komplexe Polyrhythmen erzeugt. Nicht zuletzt beantwortet Kotche die Frage, warum er der Allgemeinheit makellos aufgenommene Files eines der führenden Streichquartette zur Verfügung stellt.
Ich habe irgendwo gelesen, dass Dein Ansatz für das Schreiben der Streichermusik auf "Anomaly" ein sehr perkussiver war. Mir ist klar, dass Pekussions eine Verbindung zwischen Prhythmus und Textur schaffen. Ich frage mich jedoch, wie Du Dich der Tonalität und den Harmonien genähert hast.
Das Meiste schreibe ich wenn ich hinter dem Schlagzeug sitze. Der Rhythmus und der Aufbau der Stücke stammt also von dort. Danach mache ich mich daran, die Gerüste mit Harmonien und mehr oder weniger traditionellen musikalischen Elementen zu füllen. Für gewöhnlich geschieht das per Zufall. Es könnte die Stimmung der im Kit geladenen Kalimba ausschlaggebend sein. Oder ich höre mich durch die Rhythmen des Vibrafons, der Celesta oder des Pianos, um dort einen tonalen Ansatz zu finden. Ich probiere das einfach aus. Es kommt selten vor, dass ich etwas in einer ganz bestimmten Harmonie oder Tonart plane. Die Tonhöhen in “Anomaly Mvt. 2" zum Beispiel beziehen sich auf die Stimmung des Schlagzeugs, an dem das Stück entstand.
Glenn Kotche - ‘Anomaly Mvt. 2’
Funktioniert die Verbindung zwischen Perkussions und Streichern auch umgekehrt? Oder anders gefragt: Hat die Charakteristik der Streichinstrumente einen Effekt auf dein Perkussionspiel?
Ja. Die Stimmung der Drums, die verwendeten Gerätschaften und die Auswahl der Sounds sind alle vom Timbre der Streichinstrumente beeinflusst. Ich habe die Drums extrem gedämmt, damit sie nicht zu offen klingen und keine Obertöne die Streicher stören. Die Mischung in den Pizzicatos-Parts kommt dadurch wesentlich besser. Ich habe Paukenschlägel anstatt herkömmlicher Sticks benutzt – auch wieder, um auf die Lautstärkebeschränkung der Saiteninstrumente zu reagieren. Und ich habe fast keine Becken gespielt. Dadurch wird der Sound noch kontrollierbarer. Selbst die Snare habe ich für die Suite oft weggelassen. So konnte nichts aus der Musik im negativen Sinne heraus ploppen. Das sind aber nur einige der vielen Überlegungen, die man anstellen muss, wenn man Drums zu einem Streichquartett spielen will.
Du hast "Anomaly" großzügigerweise auf blend.io für Ableton Live User zur kreativen Weiterbearbeitung bereit gestellt. Was erhoffst Du Dir von den zu erwartenden Ergebnissen?
Laden Sie sich die Bestandteile von “Anomaly” auf blend.io herunter
Im besten Falle Dinge, die ich mir im Leben nicht vorstellen könnte! Etwas, das mich völlig einnimmt und die Musik in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Worauf ich nur hoffen kann, ist, am Ende zu sagen: "Wow, das hätte ich nicht für möglich gehalten!". Und Türen zur Kreativität geöffnet zu haben.
Es gibt ein paar sehr coole analoge Sounds auf “Anomaly”. Wie hast Du diese elektronischen Glitch-Sounds, die man im 1. und 3. Satz hören kann, hinbekommen? Ist die Herangehensweise an diese anlogen Sounds die selbe wie bei den Perkussion-Instrumenten?
Ja, ist sie. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie der spezifische Sound in “Mvt. 3” zustande kam, aber ich verwende Sounds, die ich irgendwo draussen aufgenommen habe. Oder akustische Sounds, die ich durch Effektpedale und Prozessoren jage. Hin und wieder nutze ich meine Drum Brain Controller, um Custom-Sounds zu tweaken. Selbst winzigste Sounds, die über ein Kontakt-Mikro aufgenommen wurden, kann man so zum Leben erwecken, dass sie zu ausgewachsenen, fast elektronisch klingenden Instrumenten werden. Ein kleiner unscheinbarer Sound unter eine Art klanglicher Lupe. “Mvt. 1" zum Beispiel hörte sich für mich mit Werksounds aus meiner Kompositionssoftware Sibelius viel zwingender an, als mit echten Drums und Streichern.
Trotzdem denke ich bezüglich Sounds und Timbren grundsätzlich in zusammengefassten Kits oder Sets. Das ist das, was die Drums im Kern ausmacht. Egal ob akustisch, elektroakustisch oder elektronisch.
Video-Tutorial von Josh Hogan zur Organisation von Kotches Live Set.
Deine Perkussions wirken bisweilen beinahe orchestral. Unterschiedliche Layer und unisono gespielte Parts sorgen für einen gewaltigen "Makro"-Beat. Was lässt sich dazu noch sagen?
Ich höre auch, dass auf “Anomaly” einiges 'groß' klingt. Für die Aufnahmen nehme ich gern mal einige Layer mit instrumentalen Texturen dazu. Bei der Live-Umsetzung funktioniert das dann natürlich nicht mehr. Ein gutes Beispiel ist "Mvt. 2". Da habe ich neben Handclaps, Piano und Zimbeln auch noch eine Marimba und ein Tamborin hinzu genommen. So entstand diese größere Sektion. Als es mit der tatsächlichen Produktion losging, kam Pat Burns ins Spiel. Er hat die Scheibe aufgenommen und gemischt. Mit Pat arbeite ich schon seit Ewigkeiten und ich kann ihm bei der Entscheidung für gewisse klangliche Maßnahmen vollkommen vertrauen. Wir ticken diesbezüglich sehr ähnlich. Wenn ich das richtige Instrument und die richtigen Schlegel wähle und damit gut spielen kann, weiss ich, dass er am Ende für einen großartigen Sound sorgt.
Auf "Anomaly" tauchen auch immer wieder Polyrhythmen auf. Dabei mischen sich klassische Rhythmen mit traditionellen Perkussion-Mustern aus verschiedenen Regionen der Welt. Auch Elemente der amerikanischen Minimalistik, wie sie zum Beispiel bei Steve Reich vorkommen, sind vertreten. Kannst Du uns etwas dazu sagen, wie Du zu diesen Rhythmen gekommen bist?
Natürlich. Reich studierte ja sowohl Afrikanische als auch Balinesische Musik. Beides hat seine eigenen Arbeiten früher stark beeinflusst. Auch ich habe mich intensiv mit den weltweiten traditionellen Perkussion-Stilen befasst. Ich mag es grundsätzlich, wenn bestimmte Sachen metrisch mehrdeutig sind, wenn man in der Musik verschiedene Pulse wahrnehmen kann. Fast so wie bei diesen Illusionsbildern, wo sich die Dinge entweder auf dich zu oder von dir weg bewegen, je nach dem, wie sie dein Geist gerade interpretiert. Ich versuche oft Stücke zu schreiben, die sich rhythmisch oder metrisch in verschiedene Richtungen bewegen.
Irgendwelche Ratschläge für die Beatmacher unter uns, die sich mit gekreuzten Rhythmen befassen möchten?
Sich einfach klar machen, auf welch unterschiedliche Weisen man acht, zwölf oder sechzehn teilen kann. Das sind die gebräuchlichsten Unterteilungen unserer westlichen Musik. Acht lässt sich zum Beispiel in 4 + 4 teilen, oder aber in 3 + 3 + 2 oder in 3 + 2 + 3, in 4 + 3 + 1 und so weiter. Ich experimentiere beim Gruppieren mit verschiedenen Kombinationen und Anordnungen. Dann versuche ich ein Muster mit den Händen zu spielen und ein anderes gegenläufig mit den Füssen. Ich mag diesen Fluss, den die Musik dadurch verliehen bekommt und die Synkopierung, die dabei entsteht.
Jetzt haben Sie die Chance, Katches Aufnahmen zu ihren eigenen zu machen.Hochqualitative Streicher-Samples sind in der Regel kostenintensiv. Verpassen Sie also nicht die Gelegenheit, Ihre Library mit makellos aufgenommenen Sounds zu erweitern. Schaffen Sie etwas Neues, beeindrucken Sie Glenn Kotche und vergessen Sie nicht, ihre Werke mit uns zu teilen. Tag: #MadeWithLive