Circuit des Yeux: Wie Halo on the Inside entstand
Die amerikanische Singer-Songwriterin Haley Fohr hat in fast zwei Jahrzehnten eines der gewagtesten und emotional berührendsten Gesamtwerke der zeitgenössischen experimentellen Musik geschaffen. Zentraler Punkt für ihr konzeptionelles Schaffen ist ihr eindrucksvoller, tiefer Bariton. Einer der markantesten in der modernen Musik.
Die aus Lafayette, Indiana, stammende Fohr hat unter dem Namen Circuit des Yeux mit ihrem Debütalbum Symphone (2008) Bekanntheit mit besonderer Lo-Fi-Ästhetik erlangt. Darauf schafft sie mit Bandrauschen und heftigen Verzerrungen dichte experimentelle Atmosphären. Auf weiteren Releases wie Overdue (2013) und -io (2021) waren große Orchesterarrangements zu hören, während Fohr über Trauma, Transformation und die Weite der menschlichen Emotionen sinniert.
Ihr achtes Album, Halo on the Inside, kann als radikale Wiedergeburt gelesen werden. Das Album hat sie zusammen mit Andrew Broder produziert. Fohr hat dabei auf ihre charakteristische 12-saitige Gitarre verzichtet und stattdessen auf düstere elektronische Klangwelten und pulsierende Rhythmen gesetzt. Ableton hat bei ihrer Neuerfindung eine zentrale Rolle gespielt, um griechische Mythologie und nächtliche Einsamkeit sowie Schönheit im Wandel in die immersiven Klanglandschaften von Halo zu betten.
Wann hast du gemerkt, dass du eine so unglaubliche Stimme hast? Und hattest du sie schon immer oder musste sie erst entwickelt werden?
Ich habe meine Stimme zum ersten Mal wirklich kennengelernt, als ich etwa 10 oder 12 Jahre war. Ich war ziemlich schüchtern, aber habe meine Stimme zum ersten Mal gespürt, als mich ein Lehrer in der Schule gebeten hat, ein Solo zu singen. Sie war schon immer dunkler und tiefer als von den meisten meiner Freunde. Nach diesem Solo habe ich privaten Gesangsunterricht genommen und meine Stimme im Laufe des nächsten Jahrzehnts wirklich weiter entwickelt. Ich habe Musik immer zur Begleitung meiner Stimme genutzt, darum ist mein Ansatz eher Improvisation, obwohl ich eine klassische Gesangsausbildung habe. Angefangen hat alles mit Töpfen, Pfannen und einem Klavier. Das war halt das, was es in meinem Elternhaus so gab, als ich ein Kind war. Irgendwann habe ich mir für 15 Dollar eine Gitarre auf eBay gekauft – ein ziemliches Schrottding. Aber durch diesen DIY-Ansatz bin ich neugieriger geworden und habe schließlich mein Studium der Audiotechnik abgeschlossen.
Dein Debütalbum, Symphone, war sehr Lo-Fi und kompromisslos. Kannst du rückblickend nachvollziehen, was du damals vermitteln wolltest und bist du noch immer auf demselben Weg?
Mit Symphone wollte ich eigentlich eine Symphonie aufnehmen, aber es klang, als käme sie durch einen Telefonhörer. Damals hatte ich nur ein Vierspurgerät mit integriertem Mikro und das hört man auch. Aber in meinem Kopf gab es all diese Celli, Streicher, tiefen Pauken und Trommeln. Das neueste Album, Halo on the Inside, und sein Vorgänger, -io, verkörpern das voll und ganz. Im Rückblick war das alles ziemlich existenzielles Zeug – ich war jung und hatte mit Gefühlen zu kämpfen, die ich nicht wirklich einordnen konnte. Vielleicht neige ich deshalb eher zur experimentellen Musik, weil sie nicht so eindeutig ist und dabei hilft, über die Wirrungen beim Navigieren der menschlichen Existenz zu reflektieren.
Vor Halo on the Inside war dein Sound größtenteils akustisch. Ab wann hast du in Erwägung gezogen, bei deinem Produktionsprozess Software als Hilfsmittel einzusetzen?
Ich würde sagen, dass der Großteil meiner Diskografie analog ist – bis vor zwei Alben habe ich noch mit Tonbandgeräten aufgenommen. Und mein DAW-Switch zu Pro Tools war im Grunde eine ziemliche Tape-op-Situation. Ich habe schon immer akustische Instrumente benutzt und mit externem Equipment gearbeitet, um Sounds zu erzeugen, die etwas elektronischer klingen. Aber erst mit Halo on the Inside bin ich mit der klaren Absicht an die Sache herangegangen, etwas zu schaffen, das sich zeitgemäß anfühlt – und ein wichtiger Faktor dabei war die Nutzung der DAW als kreatives Werkzeug.
Und hier kam vermutlich Ableton ins Spiel?
Hier kam Ableton ins Spiel, aber ich kannte das Programm überhaupt nicht. Zum ersten Mal habe ich es in einem Live-Setup gesehen, weil viele experimentelle Künstler es bei ihren Gigs benutzen. Und ich fand es irgendwie krass, dass ich mit all meinem Eqipment auflief und die anderen nur mit Laptop und trotzdem ein ganzes Orchester an Klängen am Start hatten. Nachdem ich die kostenlose Demo ausprobiert hatte, habe ich gemerkt, dass ich das recht schnell lernen konnte und dass mich die vielen Möglichkeiten in spannende Abgründe führten würden. Nachdem ich mit Sidechaining angefangen und die Effekte und integrierten Instrumente von Ableton einsetzen gelernt hatte, habe ich gemerkt ,dass ich damit auf einmal so schnell Material generieren konnte, dass ich echt besondere Sachen kreieren, sie loopen und dann darüber singen konnte. Zum ersten Mal war der Ansatzpunkt von Songs im virtuellen Hirn von Ableton, was für mich völlig neu war – ich glaube, ohne hätte ich die Melodien nicht so schreiben und die Musik nicht so gestalten können, wie ich es getan habe.
Bevor wir mal auf die Produktion schauen, welche emotionalen oder konzeptionellen Themen treiben dich um?
Das Album klingt ziemlich industriell, wie ich finde. Ich habe damals in Chicago gewohnt, war vor Kurzem erst umgezogen, und die Geräusche der Stadt drangen so richtig zu mir durch. Ich habe in der Nähe von einem Bahnhof gewohnt und wollte den permanenten Lärm des Verkehrs und der Sirenen in den Sound-Hintergrund der Musik einfließen lassen. Ich war gerade dabei, mich zu trennen, nachdem ich siebeneinhalb Jahre mit jemandem zusammen gewesen war. Als ich mit den Aufnahmen zum Album losgelegt habe, wusste ich, dass es nicht unbedingt um Verlust gehen würde, sondern um einen Identitätswandel und den damit verbundenen Schmerz. Es gibt ein sexuelles Element darin, weil ich so viel Verlangen hatte und mich sehr nach Intimität sehnte, sowohl körperlich als auch emotional. Darum ist Halo on the Inside ziemlich thematisch geprägt und jedes Lied handelt im Grunde auf die eine oder andere Weise von der Liebe.
Sounds zu cutten, zu schneiden und Klangteppiche aus Geräuschen zu machen, die aus meinem Körper kommen, bis sie sehr verfremdet und rhythmisch klingen: das war ein echt spannender Prozess.
Und auf welche Weise hat dir Ableton geholfen, eine neue Dimension hineinzubringen?
Es hat mir geholfen, zwei Welten miteinander zu verbinden und sie als eine zu sehen. Mein Producer, Andrew Broder, ist Ableton-Experte und hat mir definitiv geholfen, diese akustische und technologische Welt miteinander zu verbinden. Bass- und Subbassfrequenzen zu erforschen, ist in der natürlichen akustischen Welt nicht einfach. Und ich wollte auch Streicher einsetzen und in Ableton konnten wir etwas sehr Präsentes, Visuelles und Skulpturales erreichen. Sidechaining spielte bei dieser Platte eine große Rolle; das bedeutet im Grunde, dass eine Spur dynamisch von einer anderen gesteuert wird. Wir haben das ziemlich viel mit externen Synthesizern, echten und Computer-Drums gemacht, aber am spannendsten fand ich die Manipulation der Vocals. Sounds zu cutten, zu schneiden und Klangteppiche aus Geräuschen zu machen, die aus meinem Körper kommen, bis sie sehr verfremdet und rhythmisch klingen: das war ein echt spannender Prozess.
Du hättest das Album mit Ableton sicher auch allein machen können, warum also einen externen Produzenten um Hilfe bitten?
Mir war von Anfang an klar, dass ich keinerlei Erfahrung im Beat-Produzieren habe, aber mir eine Vielzahl von Optionen wünsche. Außerdem wollte ich mit einem Produzenten zusammenarbeiten, um Ideen fürs Songwriting zu besprechen. Ich bin auf Andrew aufmerksam geworden, weil er eine LP des indigenen Sängers Joe Rainey produziert hatte, der Powwows auf Kassetten aufnimmt. Er hat diese sehr rohen Vocal-Elemente genommen und ein Mixtape gemacht, das Beats mit Alice Coltrane-artigen Streichern verbindet – Elemente, die mich faszinierten. Also habe ich Andrew eine DM geschickt und nach ein paar Tagen bekam ich einen Ordner mit 30-40 Beats und schon ging es los.
Waren die Beats grundlegend für die Entwicklung deiner Ideen?
Ich habe viele Songs akustisch geschrieben. Zum Beispiel wurde Organ Bed am Klavier geschrieben, aber andere Stücke wie Megaloaner stammen aus Andrews Beat-Ordner, wo er eine Basslinie und einen Beat hatte, und ich habe einfach darüber gejammt. Sobald ich eine Melodie hatte und ready war, den Song auszuarbeiten, bin ich nach Minneapolis geflogen, um persönlich mit ihm zusammenzuarbeiten. Wir haben dreitägige Sessions gemacht und am Ende ungefähr 15 fertige Tracks gehabt, aber nicht alle davon waren für das Album geeignet.
Lade das Live Set von Circuit des Yeuxs “Organ Bed” herunter
Bitte beachte: Dieses Live Set und alle enthaltenen Samples dienen ausschließlich zu Lern- und Explorationszwecken und dürfen nicht kommerziell genutzt werden. Erfordert Live 12 Suite.
Der ganze Prozess war so Frankenstein-mäßig, aber ich habe eine Menge Energie aus kreativen Zufällen gezogen.
Ist es dir schwergefallen, Teile des kreativen Prozesses an Andrew abzugeben?
Am schwersten an der Zusammenarbeit mit Andrew war, so viel von seiner Arbeit wieder zu löschen, was mir sehr leid tat. Organ Bed ist ein wirklich gutes Beispiel für diesen Workflow. Denn Andrew war so begeistert davon, dass ich ihn ein wenig bremsen und an die eigentliche Aussage des Songs erinnern musste, der von meiner Katze handelt und einen eigentlich sehr sanften Kern hat. Zeitweise klang er fast wie ein Dance-Track mit diesen ganzen glitzernden Elementen und so voller Arpeggios. Aber ich habe mich dann entschieden, 80% davon zu löschen und stattdessen einen atmosphärischeren Gitarren- und Pad-Sound aus den 80ern zu verwenden. Ich halte diese Platte dank Ableton für zeitlos, aber nicht in dem Sinne wie meine anderen Platten. Für mich ist es wie in dem Film "Everything Everywhere, All at Once", wo man einfach von einer Flut von Dingen überrollt wird. Der ganze Prozess war so Frankenstein-mäßig, aber ich habe eine Menge Energie aus kreativen Zufällen gezogen.
Nutzt du deine bemerkenswerte Stimme als primäre kreative Kraft oder eher als Zugabe zu Musik, die du schon hast?
Ich habe so gut wie immer eine Melodie im Kopf und versuche dann, etwas Passendes dazu zu finden. Aber ich setze meine Stimme gerne auf eine klangliche, atmosphärische Weise ein. Wie ein Klangteppich oder ein ganzer Chor braucht sie eine gewisse Bewegung. Bis Halo on the Inside habe ich meine Vocals mit einem Neumann U87 aufgenommen, das über BAE-Vorverstärker und ein Apogee-Interface lief. Ich mag Kompression bei meiner Stimme überhaupt nicht, und wenn ich Comping mache, mache ich normalerweise nur zwei bis fünf Durchgänge. Ich halte das Ganze gerne ziemlich natürlich. Aber ich habe eben auch Gesangsaufnahmen mit einem Toningenieur gemacht, und es war schön, direktes Feedback von jemandem zu bekommen, der mir helfen konnte, Neues auszuprobieren. Es gibt einen Song namens Canopy of Eden , bei dem der Refrain aus einer geflüsterten Spur über normalen Vocals besteht, aber dabei hat man mich angeregt, die K-Laute und die gutturalen Teile der Wörter stärker zu betonen. Und das kommt meiner Meinung nach wirklich sehr cool rüber.
Halo on the Inside zeichnet sich außerdem durch eine Menge Multiinstrumentalisten aus. War das das erste Mal, dass du das Budget hattest, um so ein umfangreicheres Album zu produzieren?
Das Budget, das ich von Matador erhalten habe, war ein echter Gamechanger. Und ich zahle meine Musiker gerne gut, weil ich es so sehe, dass sie mir etwas für die Ewigkeit geben. Ein großer Teil von Andrew Broders Produktionsarbeit bestand darin, ihn die Mitwirkenden auswählen zu lassen. Und die meisten dieser Sessions fanden entweder in meiner Abwesenheit in Andrews Studio statt oder die Musiker schickten ihre Spuren unabhängig voneinander. Aber wenn der Vibe nicht gestimmt hätte, hätte ich sie ausgetauscht oder gar nicht erst benutzt. Letztendlich muss alles mit dem Song funktionieren und ihn dorthin bringen, wo ich ihn haben möchte.
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Du hast außerdem die hochangesehene Toningenieurin Marta Salogni an Bord geholt, was sich als eine sehr kluge Wahl bewiesen hat …
Bis zu meinem letzten Album hatte ich ausschließlich mit Cooper Crain zusammengearbeitet. Wir waren Partner im Leben und in der Musik. Das hatte viele Vorteile, aber ich hatte von Marta durch ihre Arbeit mit Björk gehört und kannte die Musik, die sie mit ihrem verstorbenen Partner Tom Relleen gemacht hatte. Ehrlich gesagt finde ich es als Frau aufregend zu sehen, dass es da draußen andere Frauen gibt, die sich auch für Bandmaschinen und analoge Delays begeistern – das fühlt sich richtig romantisch an! Nicht nur das, sie ist auch eine der liebsten Personen, mit denen ich je gesprochen habe, und ich hatte das Glück, dass sie interessiert war und Zeit hatte. Wir haben während der COVID-Zeit remote an -io gearbeitet, aber diese Platte war eine Gelegenheit, nach London zu reisen und Marta dort zu treffen. Ihr bei der Arbeit zuzusehen, war absolut inspirierend.
Hast du irgendwelche Mix-Tipps mitgenommen?
Eine Sache, die ich sicher offen erzählen darf, ist, dass sie nie irgendwas solo spielt – sie mischt immer alles miteinander, und zwar in Bezug auf alles andere, und das fand ich ziemlich intelligent. Sie hatte gerade ein Depeche-Mode-Album fertig gemacht. Also konnte ich zu ihr sagen: „Ich will, dass dieser Sound wie Depeche Mode klingt!“ Sie hat dann eine Festplatte mit Aufnahmen von ihren Sessions rausgeholt, das fühlte sich an wie bei Wünsch-dir-Was [lacht].
Text und Interview: Danny Turner
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Dana Trippe/Nat Harvie