Eine der vielen Neuerungen in Ableton Live 9 ist die Analog-Kompressor-Emulation Glue Compressor, die auf dem klassischen Bus-Kompressor eines legendĂ€ren Mischpults der 80er Jahre basiert. AuĂerdem wurde EQ Eight um einige Funktionen erweitert, darunter neue SVF-Filter fĂŒr einen prĂ€ziseren und weicheren Sound. Wir trafen Andrew Simper, der den Glue Compressor und EQ Eights neue Filter entwickelt hat, um ihn ĂŒber Analog Modeling, Live 9 und mehr zu befragen.
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Andrew Simper ĂŒber The Glue und EQ Eight

ErzĂ€hle uns bitte zuerst etwas ĂŒber dich.
Ich liebe Musik, Computer und Mathematik, und das Tolle ist, wie gut sich diese Dinge ergĂ€nzen. Ich habe einen Abschluss in Mathematik und Informatik, und mein Hauptinteresse galt zuerst den Themen kĂŒnstliche Intelligenz und Bildbearbeitung. Dann begann ich mich fĂŒr die Programmierung von Musiksoftware zu interessieren: Werkzeuge, die Audio auf ungewöhnliche Weise bearbeiteten und damals noch nicht existierten, zum Beispiel StörgerĂ€usche erzeugende Buffer-Delays und andere verrĂŒckte Effekte sowie Granular-Synthesizer. Die SoundqualitĂ€t der damaligen digitalen Synths hat mich nie wirklich ĂŒberzeugt: Ich erinnere mich besonders an ein MusikgeschĂ€ft, in dem ein Access Virus neben einem Roland Jupiter-6 aufgestellt war â vermutlich um zu beweisen, wie toll der Virus klingt. Nachdem ich kurz auf beiden Instrumenten gespielt hatte, kaufte ich mir den Jupiter: Der Virus hatte bei mir einfach keine Chance. Seitdem fasziniert mich der Klang analoger Elektronik, und ich habe alles Mögliche dafĂŒr getan, diesen wunderbaren Sound in die digitale Welt zu holen.
Wie kam The Glue zustande? Wonach hast du in Sachen Klang, BedienoberflĂ€che und âFeelingâ genau gesucht?
Ich konnte frĂŒher nie verstehen, warum andere Produzenten so auf ihre Kompressoren abfuhren â wie sie darĂŒber schwĂ€rmten und total ĂŒbertrieben auf sie fixiert waren â wenn ich daran dachte, was diese Effekte eigentlich mit deinem Sound machen. Aus meiner Sicht machten sie ihn vor allem schlechter. Es gelang mir nie, Kompressoren â egal ob digital oder gĂŒnstig und analog â einen guten Klang zu entlocken, und deshalb kamen sie im GroĂteil meiner Produktionen auch nicht zum Einsatz. Ich dachte, dass ich einfach nicht schlau genug wĂ€re, um mit Kompressoren klarzukommen und einen Produktions-Kurs oder Ăhnliches besuchen mĂŒsste, um sie richtig anzuwenden. Und mit diesem Gedanken war ich natĂŒrlich komplett auf dem Holzweg.
Ich suchte das Problem bei mir selbst statt bei den Tools, und in diesem Fall waren wirklich die Kompressoren schuld. Bei einem guten Analog-Kompressor ist es wirklich egal, was man einstellt: Alles klingt gut â nur eben verschieden gut. Mit âThe Glueâ bringe ich diesen Sound in die digitale Welt: Der Effekt modelliert den Bus-Kompressor einer klassischen Mixkonsole und klingt transparent, weich und wunderbar harmonisch. Viele Leute sind der Meinung, dass sich der Einsatz von Equalizern in ihren Produktionen reduziert hĂ€tte: Alles klĂ€nge sofort heller und dichter, wenn sie The Glue verwendeten. Dieses Plug-in ist fĂŒr den tĂ€glichen Gebrauch bestimmt, und deswegen ist seine OberflĂ€che auch schlicht und hat nur wenige Regler. Beim Entwickeln der OberflĂ€che war es mir sehr wichtig, so viel wie möglich in den Hintergrund zu verlegen, damit die Anwender sich auf das konzentrieren, was sie hören und nicht abgelenkt werden.

Oben: Andrew Simpers Arbeitsplatz.
Was waren die besonderen Herausforderungen beim Modellieren eines klassischen Hardware-Kompressors? Gibt es da Softwareverhalten, das bei einem digitalen Kompressor keinen Sinn machen wĂŒrde?
Das digitale Modellieren eines analogen Systems ist immer mit Herausforderungen und Kompromissen verbunden. Beim analogen Vorbild fĂŒr The Glue wurde viel MĂŒhe darauf verwendet, eine sehr lineare VerstĂ€rker-Sektion zu erhalten. Deshalb habe ich diese in The Glue perfekt neutral gestaltet. Der gesamte Ton kommt vom HĂŒllkurvenfolger, der auf nicht-linearem Feedback basiert. Dieser Teil des Schaltkreises lieferte einige unerwartete, doch groĂartig klingende Ergebnisse, die ich nicht mit Absicht so programmiert hĂ€tte. Jetzt verstehe ich, wie viel sie zu einem harmonischen Klang, der nie ĂŒberkomprimiert ist, beitragen.
Analoge Schaltkreise haben Grenzen und gehen in die SĂ€ttigung, wenn man bis ans Limit geht. Der Beginn der Kompression wird vom Diode-basierten HĂŒllkurvenfolger ausgelöst und ist sehr sanft. Das ist nicht dasselbe wie die Soft-Knee-Charakteristik, sondern dynamischer im Attack. Und die Release-Zeiten laufen gleichmĂ€Ăig bis zu ihren maximalen Werten hoch. Alles dehnt sich so elastisch wie ein Gummiband, das nach dem Sound greift und ihn zum HĂŒpfen bringt. Man kann es abrupt zurĂŒckschnappen lassen, ohne dass es reiĂt, weil die Begrenzungen der Schaltkreise alles unter Kontrolle halten. All diese AblĂ€ufe interagieren auf komplexe Weise, und alles passiert dank der prĂ€zisen analogen Schaltkreis-Modellierung automatisch.
Wie geht man im Vergleich zum traditionellen Digital Signal Processing vor, wenn man analoge Hardware als Software nachbilden will?
DSP umfasst jede Bearbeitung von Signalen, die konstante Spannungen mit einer begrenzten Sammlung von Werten reprĂ€sentieren. Ich denke, dass sich das traditionelle DSP meist auf lineare Systeme konzentriert hat, da diese von der damaligen Rechenleistung als einzige mĂŒhelos bewĂ€ltigt werden konnten. Viele technische Prozesse verlangen lineares Verhalten, und es eignet sich auch fĂŒr manche digitale Bearbeitung von Musik â Oversampling zum Beispiel.
Doch in der Musik herrscht nicht-lineares Verhalten vor, und das ist mit einem Computer viel schwerer zu lösen. Ich meine jetzt nicht das Verzerren mit einem einfachen Waveshaper: Die interessantesten musikalischen Nicht-LinearitÀten finden sich in Feedback-Schleifen oder in Verbund mit anderen Elementen, die einander in komplexer Weise beeinflussen, und das komplexe Ergebnis klingt dann sehr angenehm. Erst jetzt sind die Computer in der Lage, Teile dieser komplexen Systeme in Echtzeit zu lösen, und so nÀhert sich das traditionelle musikalische DSP allmÀhlich der Auflösung dieser komplexen Systeme an. Diese Entwicklung lÀsst nicht nur im Musikbereich, sondern in allen Bereichen des DSP beobachten.
Wie ging es bei dir mit dem Hardware-Nachbilden los? Was war dein erstes Plug-in?
Ich habe meine ersten eigenen Plug-ins unter dem Namen âVellocetâ geschrieben, als ich gerade mit meinem Uni-Abschluss beschĂ€ftigt war. Mein erstes Plug-in hieĂ âVReOrderâ und hatte nichts mit analogem Modeling zu tun: Es war ein Delay-Plug-in inklusive Step-Sequenzer mit 16 Schritten, um den gewĂŒnschten Teil des Delay-Buffers zu sequenzieren. Man konnte damit auch Segmente umkehren und deren Pan- und Volume-Werte Ă€ndern. Das Feedback griff dann den Ausgang dieses zerpflĂŒckten Audio-Signals ab und schickte ihn zurĂŒck zum Eingang. Die Resultate konnten ziemlich komplex sein.
Da ich mich auf die Plug-in-Programmierung konzentrieren wollte, bin ich bei FXpansion eingestiegen und habe mich dort um den Vertrieb, die Webseite und den Support gekĂŒmmert. Am meisten interessierten mich resonierende Filter und Synthesizer, doch FXpansion brauchten auch Kompressoren fĂŒr ihre Akustik-Drum-Library BFD2. Das war meine erste Begegnung mit guten analogen Kompressoren, und beim Hören verstand ich dann das ganze Getue: Mir wurde schnell klar, dass die digitalen Kompressoren, die ich bis dahin gehört hatte, diesem Klang nicht mal ansatzweise nahe kamen. Um diese Schaltkreise angemessen nachzubilden, musste ich zuerst lernen, wie Schaltkreis-Simulatoren funktionieren. Mit Hilfe von Antti Huovilainen habe ich mir die Funktionsweise von Schaltkreisen beigebracht. Ich habe viele BĂŒcher und Texte zu diesem Thema gelesen und mich auch mit der Dokumentation eines Open-Source-Schaltkreis-Simulators namens QUCS befasst.
Meine erste Umsetzung der Technik zur realistischen Schaltkreis-Simulation war der in BFD2 integrierte BusComp-Effekt. SpĂ€ter entschloss ich mich zur GrĂŒndung meiner eigenen Firma â Cytomic â und verbrachte viel Zeit mit der Entwicklung umfassenderer und flexiblerer Modeling-Techniken. Diese habe ich dann beim Programmieren von The Glue angewendet.

Oben: Component modeling in Andrew Simpers Studio.
The Glue klingt angenehm verzerrt, wenn er richtig zum Pumpen gebracht wird. Inwiefern spiegelt das die Hardware wider?
Die Hardware liefert angenehme Obertöne, wenn sie gefordert wird â genau wie The Glue. Diese Verzerrung wird nicht von den Gain-Reduction-VerstĂ€rkern erzeugt: Dort gibt es bei gleichmĂ€Ăiger Kompression keine Verzerrung. Wenn die Nadel im Display vor- und zurĂŒckspringt, tritt von Seiten des HĂŒllkurvenfolgers eine Amplitudenmodulation auf, und von dort stammt die Verzerrung â sie ist also dynamischer und sanfter. Dies ist zum Teil auch der Grund dafĂŒr, warum weniger EQ nötig ist, um alles besser klingen zu lassen: Die beim Arbeiten des Kompressors entstehenden weichen Obertöne fĂŒgen dem Klang mittlere und hohe Frequenzen hinzu.
Wie gefĂ€llt dir The Glue als integrierter Effekt in Live 9? FĂŒhlt er sich wie ein Teil der Live-Plattform an?
Beim Glue Compressor in Live 9 sollte möglichst viel vom The Glue-Design erhalten bleiben, darin waren uns darin einig. Die Form erforderte ein neues Layout, und ich liebe das Ergebnis. Es gefĂ€llt mir, dass die Regler verschieden groĂ und geometrisch angeordnet sind: Das lenkt den Blick auf das Wichtige. In Sachen schlichter Gestaltung und direkter Anwendung gleicht der Glue Compressor den anderen Live-Effekten, hat aber auch einen eigenen Touch, um darauf hinzuweisen, das hier etwas Besonderes vor sich geht. Um dies zu realisieren, hat das Ableton-Team einige toll aussehende neue Elemente fĂŒr die BedienoberflĂ€che entwickelt. Hinsichtlich des Klangs hat der Glue Compressor denselben Analog-Modeling-Algorithmus wie The Glue. Sein weicher Sound und seine Dynamik machen ihn zu einem erstklassigen Buskompressor, der wenig CPU-Power benötigt und somit in einzelnen Spuren oder mehreren Bussen verwendet werden kann.
Was ist deine Lieblings-Anwendung fĂŒr Glue Compressor? Wie können Live-Anwender den Effekt am besten kennenlernen?
Um einen Eindruck der Wirkung des Glue Compressor zu bekommen, legt man ihn am besten vor einen Limiter in die Master-Spur und lĂ€sst seine Einstellungen fĂŒrs Erste unverĂ€ndert. Als NĂ€chstes entfernt man alle Kompression von den Kick- und Snare-Drums und mixt diese ein kleines StĂŒck zu laut. Damit das Ergebnis besser zu hören ist, sollte jetzt der Threshold angepasst werden, bis der maximale Ausschlag der Nadel ungefĂ€hr bei 10 dB Kompression liegt. Dann erhöht man den MakeUp-Pegel, bis der Limiter ein wenig aktiv wird. Bei jedem Kick- oder Snare-Hit sollte sich die LautstĂ€rke der ĂŒbrigen Elemente jetzt verringern, um Raum fĂŒr die Kick- und Snare-Drums zu schaffen. So wird der Mix lebendiger und interessanter, und die ĂŒbrigen Elemente haben einen besseren Zusammenhalt. 10 dB Kompression in der Master-Spur ist natĂŒrlich ziemlich viel: Der hohe Wert wurde nur gewĂ€hlt, um den Effekt deutlich zu machen. Normalerweise stellt man Werte zwischen 2 und 6 dB ein â es sei denn, man will absichtlich viel Bewegung im Mix erzielen.
ErzĂ€hle uns etwas ĂŒber die SVF-Filter, die du fĂŒr EQ Eight mitentwickelt hast: Warum klingen sie besser als die frĂŒheren Filter? Wurden hier echte Hardware-Filter nachgebildet?
Es ist ein wenig schwierig, die Frage ausfĂŒhrlich zu beantworten, ohne dabei ziemlich technisch zu werden. Der alte Filter-Algorithmus ist eine digitale Abstraktion, die zwar dieselbe theoretische Reaktion wie viele Schaltkreise hat, aber die Spannungen der Schaltkreise nicht modelliert. Der neue Algorithmus ist ein lineares SVF-Analog-Modell, das auf dem Schaltkreis des parametrischen Equalizer Urei 545 basiert. In einem linearen Modell tritt keine Verzerrung auf: Wenn man also eine einzelne Sinuswelle hineinschickt, bekommt man eine Sinuswelle ohne zusĂ€tzliche Obertöne zurĂŒck. Theoretisch gesehen klingen beide gleich, wenn man von unendlich prĂ€zisen Zahlen ausgeht und keine Einstellung verĂ€ndert. In der Praxis gibt es bei Computern aber keine unendliche PrĂ€zision, und die Leute drehen auch gerne an den Reglern ihrer Equalizer herum!
Der neue lineare SVF-EQ-Algorithmus in EQ Eight hat erstaunliche Rausch-Eigenschaften, die den niedrigstmöglichen Rauschpegel fĂŒr alle von Computern verwendete endlich prĂ€zise Zahlen ausgeben. Da es ein analoges Modell ist, lassen sich alle Einstellungen problemlos verstellen, ohne dass hĂ€sslich klingende StörgerĂ€usche auftreten. In Kombination mit dem neuen Frequenz-Analyzer erleichtert der neue SVF-Algorithmus das Suchen und Einstellen der anzupassenden Frequenz ungemein, da der Sound jederzeit absolut klar bleibt, selbst wenn die Einstellungen geĂ€ndert werden. Sobald die gewĂŒnschten Einstellungen gefunden sind, wird dem Audio-Signal kein unerwĂŒnschtes Rauschen hinzugefĂŒgt.