H31R: Immer genug HeadSpace
Schon in der Highschool belegte die Produzentin JWords aus New Jersey einen Kurs in Musikproduktion. Bald bewegte sie sich in der Welt der Komposition wie ein Fisch im Wasser, wurde Mitglied einer Band und begann schließlich, ihre eigene Musik aufzunehmen. Sie veröffentlichte mehrere experimentelle EPs zwischen Hip-Hop und elektronischer Musik. Auf der Suche nach einer Vokalistin lernte die 27-jährige schließlich auf einer Showcase-Veranstaltung die aus Brooklyn stammende Rapperin maassai kennen. Die Chemie stimmte sofort, Ergebnis war H31R, ein Duo, das JWords Ambition treu blieb, ausgelutschte Hip-Hop-Tropes zu überwinden.
Nachdem die Pandemie beiden die volle Konzentration auf ihre neugegründete Kollaboration ermöglicht hatte, erschien 2020 ve·loc·i·ty, das Debütalbum von H31R. Mit der Mischung aus Jazz und schnellen Footwork-Grooves legte das Duo eine einzigartig klingende Chemie an den Tag, die sie auf ihrer gemeinhin begeistert rezensierten LP HeadSpace weiter im letzten Jahr weiter ausbauten. H31R arbeitet an den wankelmütigen Grenzen des Hip-Hop und schafft mit sprunghaften Beats, phlegmatischer Produktion und nachdenklichen, aber selbstbewussten Texten einen unverwechselbaren Sound.
Warum hast du dich in der Schule für einen Produktionskurs entschieden?
Als ich in die Oberstufe kam und überlegte, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen wollte, sagte meine Schwester zu mir: „Du solltest Musikingenieurin oder so etwas werden", und ich dachte, ja, das hört sich gut an. Glücklicherweise hatten wir in der High School einen Musikproduktionskurs, und so belegte ich den und dazu noch Klavier, wodurch ich mein Interesse an Musikproduktion entwickelt habe. Ich habe den größten Teil meines Studiums am Computer gemacht, aber die Schule hatte einige MIDI-Controller und durch ein Musikprogramm, das sie hatten, habe ich auch etwas über Synthesizer gelernt.
Ich habe gelesen, dass du ursprünglich Buchhalterin werden wolltest, das fand ich spannend. Hat die Musikproduktion für dich eine mathematische Komponente, die dein Bedürfnis nach dem Arbeiten mit Zahlen befriedigt?
Ich glaube, das ist einer der Hauptgründe, warum ich Musik mache. Als ich in der High School war, war ich nur in Mathe wirklich gut, und als ich mit DAWs anfing, fiel mir schnell auf, dass es Dinge wie Takte und BPMs gibt und dass man auf eine bestimmte Art und Weise zählen muss, wenn man mit verschiedenen Taktarten arbeitet. Wenn man einen gleichmäßigen Beat erzeugen will, muss alles auf die Note abgestimmt sein. Ich finde also wirklich, dass Mathe und Produktion Hand in Hand gehen, und der Wunsch, Buchhalterin zu werden, erschien mir sinnvoll.
H31R hat einen sehr originellen Sound, aber ihr habt beide eure eigenen Einflüsse. Was hast du als Ausgangspunkt aus der Welt des Hip-Hop oder der elektronischen Musik genommen?
Ich habe früher viel Hip-Hop gehört und mir immer Rap City angeschaut, auf der Suche nach etwas, das neu klang. Als ich dann in der High School war, habe ich mich mit Instrumentalmusik beschäftigt und war davon fasziniert. Was die Produktion anbelangt, war das erste, was mich an der Hip-Hop-Welt reizte, das Sampling und die Art und Weise, wie Samples arrangiert werden. Von der elektronischen Seite her mochte ich die Arbeit mit Texturen und dachte, dass die Verbindung dieser beiden Welten ein einzigartiger und unterhaltsamer Ansatzpunkt sein könnte. Ich war ein großer Fan der New Yorker Beat-Szene und habe mich davon inspirieren lassen. Anfangs habe ich viel Footwork mit 160 BPM und Sample-basierte Sachen gemacht, weil man bei diesem Tempo viele schnelle Komponenten in den Songs haben kann. Ich würde mich selbst als elektronische Musikproduzentin bezeichnen, weil ich viel Elektronik benutze, um Musik zu machen. Die Leute nennen mich nicht wirklich eine Hip-Hop-Produzentin, aber das stört mich auch nicht – ich will ja auch nicht, dass die Leute mich definieren.
Du gehst gerne sehr praxisorientiert mit Technologie um. Wie hast du die verschiedenen Produktionstools entdeckt, mit denen du heute arbeitest?
Ich habe schon als Kind Computerspiele gespielt, ich war also schon immer ein ziemlicher Nerd. Nachdem ich in der Schule Musikproduktion gelernt hatte, nutzte ich diese Skills und begann, in einer Band Klavier zu spielen. Auch danach wollte ich immer noch live Musik machen, weil ich so gerne Leute sehe, die mit ihren Instrumenten spielen und auftreten. Zuerst holte ich mir einen Roland-SP-404-Sampler und einen OP-1-Synthesizer von Teenage Engineering, der so klein und niedlich war und sich wie mein eigenes Spielzeug anfühlte, mit dem ich für den Rest meines Lebens spielen konnte. Ich weiß noch, wie ich dachte: „Jetzt bin ich meine eigene Band"[lacht]. Aber ich liebe Hardware und die Möglichkeit, mit Maschinen zu spielen und Sounds zu erzeugen, hält mein inneres Kind bei Laune.
Als du die andere Hälfte von H31R, maassai, kennengelernt hast, warst du da aktiv auf der Suche nach einer Sängerin, die deine Musik ergänzt?
Ich habe maassai 2017 kennengelernt, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits produziert und ein Musikvideo mit Freunden gedreht, die für mich rappten und sangen. Ich habe immer gesagt, Leute, anstatt einfach dem traditionellen Weg der Musikindustrie zu folgen, sollten wir unser eigenes Ding starten und ich sollte produzieren. Sie teilten diese Vision nicht und verstanden mich nicht - und das ist auch okay, aber als ich dann Maassai bei einem Showcase traf, bei dem wir auftraten, gefiel mir die Art zu rappen, und sie mochte meine Beats. Vom ersten Tag unserer Begegnung an wussten wir: Wir müssen das machen.
Ich habe gelesen, dass die Pandemie euch Zeit gab, um zusammenzukommen und eure Arbeitsbeziehung aufblühen zu lassen?
Ich habe so viele Live-Shows gespielt, dass ich nicht wirklich die Zeit hatte, mich hinzusetzen und meine eigene Musik aufzunehmen und zu veröffentlichen. Die Pandemie hat mir ermöglicht, mich zu organisieren. Ich habe in dieser Zeit etwa sechs Projekte veröffentlicht, darunter mein erstes Album Self-Connection. maassai und ich hatten bereits einige Songs wie Toxic Behavior von unserem ersten Album ve-loc-i-ty aufgenommen. Das meiste davon entstand, indem maassai mir Dateien schickte, die ich in Ableton mit Beats zusammenbrachte und arrangierte. Aber beim letzten Album, HeadSpace, bekamen wir die Gelegenheit, uns tatsächlich zusammenzusetzen und Tracks zu organisieren und zu arrangieren. Wir fingen an, Zwischenspiele, Intros und Outros zu bauen und schufen eine ganze Welt für uns.
Für die Veröffentlichung von HeadSpace wurdet ihr von Big Dada in Großbritannien unter Vertrag genommen. Wie fandet ihr das, auf einem Label zu sein?
Das war eine tolle Erfahrung. Maral, der bei Big Dada für A&R zuständig ist, hatte unser erstes Album gehört und bat mich, einige Beats an einen ihrer anderen Künstler:innen zu schicken. Sie nahmen uns dann 2021 unter Vertrag, wir begannen dann mit der Arbeit an HeadSpace, und das Label hat uns geholfen, unsere Vision zu verwirklichen – vor allem mit Dingen wie dem Video zu Backwards, das viel aufwändiger war als alles, was wir zuvor gemacht hatten. Wir hoffen, dass wir sie im April in Großbritannien besuchen und ein paar Shows spielen können.
HeadSpace ist eine deutliche Weiterentwicklung von ve-loc-i-ty. Es scheint, dass du dich mehr auf die Verwendung mechanischer Klänge und die Kreation einzigartig klingender Kicks und Snares eingestellt hast?
Ich habe bei HeadSpace viel experimentiert. Diesmal wollte ich es richtig krachen lassen und von Grund auf einzigartige Sounds kreieren, anstatt zu viele Samples zu verwenden. Ich habe diesen Modulator, der verschiedene perkussive Sachen ausspuckt, also habe ich den mit meinen Drum-Computern und Synthesizern synchronisiert und mir viele coole Skills angeeignet. Der Prozess war zwar eine Herausforderung, aber es hat sich gelohnt: HeadSpace ist die erste Platte, die wirklich meine Persönlichkeit widerspiegelt und so klingt, wie ich es immer wollte.
Wie hat sich dein Arbeitsprozess mit maassai entwickelt?
Die Zusammenarbeit ist für uns ganz natürlich und wir sind auch befreundet, deshalb passen wir so gut zusammen. Normalerweise mache ich zu Hause einen ganzen Haufen Beats, aber es hilft, dass ich schon weiß, auf welche Art von Beats maassai gerne rappt. Sie mag Beats, die dreckig und gefühlvoll sind. Wenn ich also solche Sounds mache, lege ich sie in einen separaten Ordner und schicke sie ihr, damit sie sich aussuchen kann, worauf sie rappen will. maassai findet immer die richtigen Beats, um darauf zu rappen, und wenn sie mir dann ein Demo schickt, klingt das in der Regel super toll. Von da an arrangiere ich die Produktion ein bisschen mehr, damit alles zum Gesang passt, aber normalerweise gibt es nicht allzu viel zu tun, weil wir uns ziemlich gut aufeinander abgestimmt haben.
Hast du eine Meinung zum lyrischen Inhalt von maassai und wie er zu deiner Weltanschauung passt?
In HeadSpace geht es um Mädchen, Wachstumsschmerzen und darum, wie es ist, 27 Jahre alt in der Musikszene zu sein, aber wir sind sehr ähnliche Menschen. Wir denken beide viel nach – vielleicht habe ich uns deshalb H31R genannt. Wir führen viele Gespräche miteinander, und es ist manchmal beängstigend, wie sie über Dinge spricht, die ich tun werde, oder sich auf Erfahrungen oder Gefühle bezieht, die ich gerade durchmache. Ich glaube, das ist der Grund, warum wir die Musik machen können, die wir machen. Immer wenn ich maassais Texte höre, denke ich: „Wow, das habe ich auch gerade gedacht.”
Die Produktion ist sehr großzügig und direkt. Erfordert das akribische Aufmerksamkeit für Details oder ist es eher intuitiv?
Normalerweise mache ich mir beim Produzieren nicht allzu viele Gedanken. Ich baue einfach mein Equipment auf, beginne mit einem zufälligen perkussiven Sound und füge Schlagzeug und einen Synthesizer hinzu. Wenn die Produktion zu hektisch klingt, nehme ich so lange Sachen weg, bis es cool klingt und ich bereit für die Aufnahme bin. Mir gefällt fast immer die ursprüngliche Idee, die ich hatte, und ich spiele nicht zu sehr mit Audioeffekten. Ich verwende ein bisschen Hall, Delay, Chorus oder Flanger, aber das ist alles sehr subtil und einfach. Wenn es um die Produktion geht, geht es mir vor allem darum, Spaß zu haben. Musik zu machen ist etwas, das ich mache, wenn ich zu Hause bin und nicht fernsehe oder telefoniere. Es ist das Einzige, was mich aus Langeweile oder schlechter Laune herausholt. Es ist auch mein einziges Hobby – vielleicht sollte ich mir ein neues suchen [lacht].
Welche Technologien nutzt du, um Ideen zu entwickeln?
Ich mag Firmen, die coole Tools herstellen, die sich leicht kombinieren lassen, wie zum Beispiel den Korg Pocket Operator oder die Compact-Serie von Roland. Ich mag den S-1 Tweak Synth von Roland, den Elektron Digitakt und seit kurzem mache ich Sounds mit einer Korg Drumlogue Drum Machine. Ich liebe es, wenn ich es schaffe, dass all diese Geräte zusammen spielen, und ich benutze mein Setup jetzt schon so lange, dass ich weiß, wie ich alles synchronisieren kann. Früher war ich süchtig danach, neue Geräte zu kaufen, aber irgendwann wurde mir das zu viel. Das meiste macht eh dasselbe, und ich benutze wahrscheinlich nur 10 % von dem, was ich eh schon habe.
Gibt es ein zentrales Tool, das du als kreative Grundlage nutzt, oder kann dein Hauptsound von überall her kommen?
Ich verwende hauptsächlich Geräte wie den Teenage Engineering OP-1 oder den Digitakt und schließe sie an einen TE TX-6 Stereomixer an, der mir als Schnittstelle zu Ableton dient. Normalerweise füge ich Effekte hinzu, während ich mit den Tools arbeite, und dann wird das Arrangement meistens am Rechner gemacht. Sobald alles in Ableton ist, beginne ich mit dem Arrangieren und verwende ein paar Plug-ins, um den Song fertigzustellen, zu mischen und zu mastern. Zuerst habe ich Logic benutzt, aber Ableton hat sich einfach gut angefühlt, weil es super einfach zu bedienen ist und man sehr schnell coole Ideen aufschreiben und eigene kleine Samples erstellen kann. Besonders gut finde ich, dass man in Ableton mit der Clip-Ansicht arbeiten kann.
Die Tracks des Albums sind sehr kurz, und ich frage mich, ob das daran liegt, dass die Leute heute eine kurze Aufmerksamkeitsspanne haben?
Mir ist nicht wirklich aufgefallen, dass die Songs so kurz sind – das hat sich irgendwie von selbst ergeben, aber ich stimme zu, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Leute heutzutage sehr kurz ist. Als ich anfing, Musik zu machen, habe ich immer drei- oder vierminütige Tracks gemacht, damit die DJs beim Abspielen in Clubs genug Zeit hatten, um die mit anderen Songs zu mischen, aber bei HeadSpace ging es vor allem darum, das zu tun, was sich gerade richtig anfühlte.
Hat H31R dein Soloprojekt erstmal überlagert?
Ich habe letztes Jahr das Album Self-Connection rausgebracht und habe viele Solo-EPs, die hauptsächlich aus Dancemusic und weirden experimentellen Sachen bestehen, aber das mit H31R läuft gerade so gut, dass ich erstmals seit langer Zeit das Gefühl habe, mich zurücklegen und entspannen zu können. Ich habe ein bisschen unveröffentlichtes Material, das ich nächstes Jahr rausbringe, aber erstmal nehme ich mir noch ein bisschen Zeit, um die Früchte meiner Arbeit zu genießen.
Text und Interview: Danny Turner
Photos: Eigentum von Kenyatta Meadows/Dominique Mills
Übersetzung von Julia Pustet